02.08.2013

Wo ist der akademische Stolz geblieben?

In Zeiten überfüllter Universitäten durch doppelte Abiturjahrgänge, den Abfall von Wehr- und Zivildienst und dem Volksglaube, jeder bräuchte ein Studium, da unserem Land die Akademiker fehlen, fragt man sich: Macht ein Studium einen zum Akademiker?

Schon Friedrich Georg Jünger beklagt in seinem „Erinnerungsbuch“ Grüne Zweige, die Studenten enttäuschen ihn, zerstören das Ideal, dass er von den Besuchern eine Akademie habe. Diese Kritik an der Situation zur Zeit der Weimarer Republik ist heute umso schärfer zu formulieren, da wir uns der kritischen Masse des Ertragbaren annähern. Alle wollen studieren. Nein, alle wollen einen Wisch mit einem akademischen Titel in der Tasche haben, studieren will heuer kaum einer mehr. Man schreibt sich ein für Betriebswirtschaftslehre und Mediendesign, oder, wenn man einfach keine Idee hat, Philosophie. Die Folgen sind von Desinteressierten überfüllte Hörsäle, lästige Grundsatzfragen und Studenten, die statt an Wissenserwerb von klein auf an Karriere denke, gestützt von einem System, dass genau diese Haltung auch noch fördert.
Es ist nicht nur der Ausdifferenzierung der Wissenschaften und ihrer jeweiligen Detailfülle und auch nicht den modularisieren Studiengängen, die einem kaum Wahl lassen, allein zu verdanken, dass unsere Zeit keine Universalgelehrten und -genies mehr hervorbringt, sondern auch der Haltung der Studenten selbst: jene Lustlosigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen über die Disziplinen, unabhängig von der eigenen. Das ist es, was den Akademiker vom Absolventen einer Hochschule unterscheidet. Was hält den Physiker davon ab Foucault, was den Germanisten Darwin, was den Juristen Jung zu lesen? Ab und an das passende Bibelwort, Goethe- oder Hessezitat hat heuer kaum einer mehr. Schlicht: Grundlegende kulturelle Allgemeinbildung hat sich rar gemacht. Selbst die alteingesessenen Studentenverbindungen, die nach wie vor ihr konservatives Fähnchen in den Wind halten, haben die Balance zwischen Kneipen und akademischen Diskussionen verloren.

Die Ökonomisierung des Studiums auf allen Ebenen ökonomisiert die Studenten und ihr Denken, so dass für die Karriere Wissen und Bildung auf der Strecke bleiben. Das Phänomen hat einen Namen: Es ist der Verlust des akademischen Stolzes. Jener Einstellung, dass man im Zustand des Studierens lebt; nicht der Job, den man einmal haben wird, zählt, sondern das Gespräch unter Freunden und Kommilitonen über die Lektüre des Vortages. Weiter als bis zum nächsten Flohmarkt, auf dem man wieder neue Bücher und Platten abstauben kann, muss man vorerst nicht an die Zukunft denken. Wenn das Land so an Akademikern mangelt, dann soll es Bücherpakete und Freikarten für Museen und Konzerte vergeben, keine Karrierecoachings.

Bleibt die Frage: Wo ist der akademische Stolz geblieben? Man kann seinen Verlust „der Regierung“ in die Schuhe schieben, ihre Gründe sollten nachvollziehbar sein. Wer Ideologisch argumentiert mag vielleicht die 68er und ihre Erben anklagen, doch diese sind immerhin politisch gebildet und ihr revolutionärer kulturwissenschaftlicher Ansatz kann als letzter Versuch gelten, das Wahrnehmungsspektrum auszudehen. Nicht zu verleugnen ist der Zusammenhang mit der Auflösung des Bildungsbürgertums in das Bürgertum, die Radikalisierung mit der mobilen Digitalisierung. Doch wie passt das mit dem zusammen, was Jünger bereits in den 20er Jahren beobachtet? Vielleicht liefert er selbst die Antwort, weiß es nur nicht, in seinem Buch Die Perfektion der Technik.
Es bleibt nur zu sagen, dass mehr Studenten noch keine Akademiker machen, ungeachtet dessen, wie inflationär und euphemistisch das Wort gebraucht wird.

02.04.2013

Gedanken zum Roten Werk von Menegroth

„Lass edle Wut aufkochen wie eine Welle. Es herrscht ein Menschenkrieg, ein heiliger Krieg!“ - Ein Black Metal Album, für das eine Aufnahme des Rote Armee Chors als Intro dient hört man nicht alle Tage, wenn dann auch noch Hammer und Sichel das Cover zieren ziehen instinktiv die meisten, selbst noch so politisch Unkorrekte, den Schwanz ein. Menegroth haben etwas geschafft, worauf man im heutigen Black Metal unglaublich stolz sein kann: sie haben tatsächlich provoziert, und gar die Szene selbst. Mit Das Rote Werk liefern die Schweizer ein Album auf einem intellektuellem Niveau, welches man im politischen Black Metal sonst vergeblich sucht; ein Niveau was man sonst nur von Antitheologen wie Deathspell Omega in der religiösen Sparte findet. Liest man Reviews und verfolgt sonstige Reaktionen auf das Album zeigt sich auch sofort, dass der gewöhnliche Black Metal und/oder NSBM-Fan damit weitestgehend überfordert ist (und sowieso gilt nur rechts als cool und wer ein wenig in linken Vorstellungen schwelgt wird automatisch zum Buhmann). Zu tief gräbt das Album in der politisch-philosophischen Kiste und fördert dabei vor allem etwas zu Tage, was selbst so manchen Experten diesen Gebietes zur Weißglut treibt: Ernst Jüngers Der Arbeiter.
Doch bevor die tiefgehende Interpretation beginnt sei ein grober Überblick gegeben.
Zwölf Stücke vereint Das Rote Werk, welche den ideengeschichtlichen und realhistorischen Ablauf der Entstehung und Etablierung der Sowjetrepublik Russland metaphorisch überzeichnet darstellen. Von Jüngers Vorstellungen des Arbeitertypus über die Oktoberrevolution, hin zur Machtübernahme Stalins und den damit einhergehenden Verrat der kommunistischen Idee.


Mit Der STAHLinistische Arbeiter liefert Texter Marinetti eine, für einen Black Metal Text, hervorragende Zusammenfassung des jungen Jüngers Hauptwerkes. Strophe für Strophe, gar Zeile für Zeile findet ihr Äquivalent auf einer der 300 Seiten. Der Typus des Arbeiters entspricht dem „geborenen Pionier einer neuen Landschaft“ schreibt Jünger, ein Typus der aus der titanenhaften Mechanisierung der Moderne das bürgerliche Individuum vertreibt. Bei Menegroth hört sich das so an: „Schmilzt er die Stände in sich ein, / gebiert daraus eine neue Welt: / ein eiserner Adel will geboren sein / unter einem LED-Himmelszelt. // Der Arbeiter aus Stahl ist zum Kampf bereit, / denn nieder geht die alte Zeit! / In feuerroten Flammen / alles bürgerliche verdammen!“ Der Arbeiter ist Typus, ist eine uniforme Maske und „in dieser Maskenhaftigkeit, die bei Männern einen metallischen [...] erweckt“ zeichnen auch Menegroth ihren Arbeiter. „'Ja' zu sagen zum Nidergang, / zur auflösung der Klassen, / zum egalitären Massendrang, / zur Vermischung der Rassen! // Bis eine neue Welt sich formt, / ein neuer Adel entsteht, / Ungleichheit sich neue Werte normt / und ein neues Banner weht!“ ist die lyrische Entsprechung von: „Erst die völlige Zersplitterung, das Sinnloswerden der alten Gefüge macht es möglich, daß die Wirklichkeit eines anderen Kraftfeldes in Erscheinung tritt.“ Und einige Seiten weiter, dass „Rasse innerhalb der Arbeiterlandschaft mit biologischen Rassebegriffen nichts zu schaffen hat. Die Gestalt des Arbeiters mobilisiert den gesamten Bestand ohne Unterschied.“ Was auf den ersten Blick wie marxistische Theorie aussieht, kommt eigentlich aus ganz anderer Richtung.

Rote Revolution setzt von der Außenwirkung ebenfalls hier an. Stärker noch sieht es nach klassischem Sozialismus aus, doch gibt direkt die erste Zeile die eigentliche Richtung vor: „Roter Merkur offenbart sich uns“. - Wir befinden uns in der Alchemie, bei den bisherigen Evola-Einflüssen im Werke Menegroths nicht verwunderlich. Der historische Vorgang der Oktoberrevolution wird alchemistisch ausgelegt und weicht damit ab von der Glorifizierung der sozialistischen Revolution in ihrem politischen Lager, nicht nur weil der marxistische Materialismus durchbrochen wird, auch weil diese historische Betrachtung keine wertende ist sondern die Konsequenz der Materialisierung der Idee zum Hintergrund hat; „Magie ist Physik durch Wollen“, der Wille zur Macht, dies ist der Diskurs in dem sich dieses Stück bewegt.

Diesen Kommentar setzt Sowjetische Nächte fort und bringt erstmals eine sexuelle Komponente ins Spiel, die später noch wichtig wird. Kampf, Sex und Alkohol, die Trinität des Rausches, wird besungen, was erneut Jünger ins Gedächtnis ruft, diesmal mit Der Kampf als inneres Erlebnis sowie der berühmt-berüchtigen Burgunderszene der Strahlungen (fast wie eine Illustration dieser Szene sieht auch das Booklet an dieser Stelle aus, wobei dies wohl eine persönliche Überinterpretation ist).

Marxistische Mysterien treibt es auf die Spitze. Wenn Stalin und Lenin Techno-Nekromantie in einem antiken Tempel zwischen Tesla-Spulen und Räucherschalen betreiben um Marx zu neuem Leben zu erwecken fragt man sich, ob man das noch ernst nehmen kann. Aber ja, innerhalb des Ideenkosmos dieser Band ist das möglich und nur berechtigt, denken wir daran, dass sie (die Band, nicht Stalin und Lenin, versteht sich) auf dem vorigen Album auch mit Reichsflugscheiben durch Nebel und Kometenstaub geflogen sind. Hier zeigt sich erstmals offensichtlich die eigentliche Intention des Konzeptes: die Bloßstellung, wie unreflektiert Kommunisten ihre historischen Persönlichkeiten glorifizieren. Zugleich kristallisiert sich mehr und mehr eine interessante Alternative: Die Symbiose aus Alchemie und der bolschewistischen Lehre, aber nicht in der pervertierten Halbherzigkeit des Nationalsozialismus sondern auf dem philosophischen Niveau eines Alexander Dugins. „Es lodern die Flammen /zum letzten Gefecht! / Hörst die Signale / Völker dieser Welt! // Aus Ruinen auferstanden: / Diese Welt soll unser sein!“ So endet das Stück und zitiert mit der Internationalen und Auferstanden aus Ruinen nun auch munter aus kommunistischem Liedgut, was sich hervorragend in den Kontext im Sinne obiger Interpretation einbettet.

Wo nun die Sowjetrepublik installiert ist, kommt es zum Wendepunkt des Albums. Hier, im Zentrum, befindet sich ein Ambientstück, dessen Titel aus den astrologischen Zeichen für Merkur und Sonne, sowie einem alchemistischen Symbol für Schwefel besteht. Ein Aphorismus des kolumbianischen Denkers Nicolás Gómez Dávila wird geboten: „Die moderne Gesellschaft erniedrigt sich mit solcher Schnelligkeit, dass wir an jedem neuen Morgen mit Nostalgie des Gegners von Gestern gedenken. Die Marxisten fangen schon an, uns als die letzten Aristokraten des Okzidents zu erscheinen.“ Dieses Zitat wirft die Schatten des Stalinismus voraus, der nach einem ratadierenden Moment sich bald seinen Weg bahnen wird; ein Schatten, der einem das leninistische Sowjetrussland nostalgisch erscheinen lässt, in dessen Vorzügen man noch eine Weile schwelgen kann.

Roter Phallinismus bildet einen Teil dieses Schwelgens, des retardierenden Moments, und zugleich das, was, wie ich finde, auf keinem guten Black Metal Album fehlen darf: Ein Lied über Sex. Wie bereits einmal erwähnt spielt Sexualität eine Rolle hier und in diesem Stück manifestiert sie sich in wunderschönen Metaphern und tantrischen Aspekten. Der Sexualakt als die Verschmelzung des männlichen und weiblichen Prinzips bildet ohnehin einen alchemistischen Grundsatz, der auch hier wieder um die mechanisierte Komponente erweitert wird. Das Booklet illustriert das Stück mit einer futuristischen Leninstatue, die in ihrer Erhabenheit vor phallischer Symbolik strotzt. Nur ist auch Lenin nicht omnipotent und schon wieder drängt sich der stalinistische Schatten auf, der nur darauf zu warten scheint, dass das Glied erschlafft. Interessant ist in diesem Stück übrigens auch ein musikalisches Experiment: zur Mitte hin kommt ein grandioser Jazz-Part der sich sehen bzw. hören lassen kann und die Rauschhaftigkeit des Stückes hervorragend unterstützt.

Red Lion Pub schreitet voran zum Stalinismus. Noch im Rausch schwelgend wird der Bolschewismus zum Löwen, den zu bändigen nicht jeder vermag. Immer wenn es um Macht geht, geht es um die Vermehrung dieser, bzw. die Konzentration dieser auf einen kleinen Personenkreis. „Nigredo – Albedo – Rubedo“ heißt es hier, „schwarz – weiß – rot“ in unserer Sprache. In Deutschland kommt Hitler an die Macht, Nationalbolschewismus ist mit Stalin en vogue, Trotzki ist die Weltrevolution dennoch wichtiger. „Vollendet ist das rote Werk!“ schließt das Stück. Alles was nun kommt, ist anders. Trotzki wird im Exil getötet.

In diesem Geist steht auch das folgende Intermezzo, die Kosakenballade Nachts steht Hunger, deren letzte Strophe wohlgemerkt ausgelassen wird. Zurecht, denn „das Heer, dass keine Heimat hat“ ist tot, den Säuberungen zum Opfer gefallen, so wird das Lied zum Schwanengesang eines einsamen alten Kämpfers dessen Identität unklar bleibt. Ist er ein alter Leninist, gar Trotzkist, oder doch im Sinne des Liedes ein „Weißer“ aus Zarenzeiten?

Tanks'n'Roses zeigt die Wende. Hinter der Metapher des „Baron vom weißen Heer“ verbirgt sich Stalin der sich aufschwingt zum Sowjetdiktator und sich damit in die Tradition des Zaren stellt, die Diktatur des Proletariats unterbindet und nur neues Leid, neuen Krieg bringt. Noch weiter interpretiert kann die Metapher auch eine Doppelfunktion haben und durch das vorausgegangen „Nigredo – Albedo – Rubedo“ kann sich hier auch Hitler verstecken, der Russland mit Panzern überrollt. Beide sind sich ohnehin in Anschauung und Methode ähnlicher als so manchem Neonazi wie Kommunisten lieb ist. Es handelt sich hier um ein sowohl-als-auch, was selbstverständlich im starken Widerspruch zur marxistischen Dialektik steht. Sowohl der innerussische Kampf Stalins gegen seine politischen Gegner als auch der scheiternde Russlandfeldzug wird thematisiert.

Die Mönche des roten Zaren führt hin zum Ende. Sie „besiegeln mit imperialen Fanfaren / des neuen Caesars Macht.“ Stalin ließ sich ab seinem 50. Geburtstag „Führer“ nennen. „Die Welt, sie ist errettet worden, / das Proletariat ausgestorben, / das Pantokrators höchster Sohn / stieg auf den Weltenthron.“ Stalin als Messiasgestalt ist eine gewagte aber im Kontext vollkommen berechtigte Aussage. „Der Kreml / ist zurückgewonnen, / das Blut der Revolutionäre geronnen, / der Zar besteigt den Thron. / Treu dem starken und mächtigen Zaren, / der uns zum Ruhme führe und herrsche: / Im Glanz der Tradition!“ Mit diesen letzten Zeilen wird nun darauf verwiesen wie unter Stalin die russische Folklore und Tradition als mächtiges Propagandamittel genutzt wurde, durch den sakralen Bezug vor allem auch die russische Orthodoxie.

So kann das Album in aller Orthodoxie auch enden, wenn es heißt Gott, schütze den Zaren.


Ja, Das rote Werk verwirrt und fordert seinem Hörer eine Menge Gedankenarbeit ab und nach eingehender Beschäftigung wird auch klar, wieso es diese Abstoßreaktionen hervorrief. Der Rechte ist im allgemeinen so arrogant wie der Linke dogmatisch und fürchtet jede Idee eines fremden Gedankenkosmos. Der Alchimist hingegen ist geschult, die Gemeinsamkeiten der Dinge zu sehen und diesen Überblick für sich zu nutzen. Das Rote Werk ist ein Paradebeispiel für politische und denkerische Kreativität; ein Black Metal Album, dass genau die Funktion erfüllt, der Black Metal heuer nicht mehr nachkommt.

Wer sich dafür interessiert wie es klingt, der lese die vorhandenen Rezensionen, denn auf nichts anderes gehen sie ein, oder erwerbe das Album.

17.02.2013

Ein Prosastück

Drei junge Männer steigen in den Aufzug, fahren aus dem sechsten Stock ins Erdgeschoss, verlassen das Haus und bahnen sich durch halb geschmolzenen Schnee den Weg zur Trambahn. Unterwegs halten sie zweimal an: erst kaufen sie Zigaretten an einem Automaten, dann betreten sie eine Filiale der Sparkasse und einer von ihnen hebt Geld ab, während er auf die Reaktion dieses Automaten wartet überklebt er einen Antifaaufkleber. Sie reden Englisch, trinken Gin Tonic und VoFa.
Mit der Tram, welche bald darauf kommt, fahren sie einige Stationen, werden dort bereits von zwei Männern erwartet und machen sich mit ihnen auf in den zwielichtigen Keller eines Jugendzentrums. Dort angekommen setzen sie sich. Einige Zeit später gesellen sich zwei Mädchen zu der Runde. Dann beginnt die Musik. Die zwei, die sie an der Tram abholten werden bald ihren ersten Bühnenauftritt haben und hatten im engen Freundeskreis zur Generalprobe geladen. Eigenkreationen werden nicht gespielt, lediglich vier Interpretationen bekannter Stücke, die eigenwillig umgesetzt sind und, trotz des etwas schiefen Gesangs, dem Publikum zu gefallen wissen. Sie trinken anschließend gemeinsam noch ein wenig, bevor es gemeinsam zur Tram zurück geht. Ein Stück weit fahren sie gemeinsam, dann verlassen nach und nach Musiker und Mädchen die drei, die sich noch fragen, ob sie wirklich weiter fahren wollen, sich dann aber dazu entschließen.
Auf der Fahrt in den Osten Münchens beginnt es stark zu schneien, sehr stark. Die Tram macht auf halber Strecke halt und fährt nicht mehr weiter. Sie müssen aussteigen und im dichtesten Schneetreiben rauchend und trinkend auf die nächste Tram warten. Nach kurzer gemeinsamer Aufregung über den Ausfall unterhalten sie sich bald wieder wie vorher und bald kommt auch die Tram, mit der sie weit hinaus fahren, in verschneite Stadtteile, die ihnen nicht sehr vertraut sind und auch wenig städtisch aussehen. Sie suchen nach dem Bus, den sie nehmen wollen, finden ihn nicht und entscheiden sich dann für eine andere Tram, die sie ihrem Ziel näher bringt. Von dort aus müssen sie laufen, navigiert von den neuesten Errungenschaften moderner Technik. Es beginnt also ein Fußmarsch durch dichten, flockigen Schnee in den ihre Stiefel tief einsinken. Es ist mitten in der Nacht, da sie die angestrebte Lokalität erreichen und sich unter das dunkel gehüllte Volk mischen. Die Bekannten, welche sie antreffen, scheinen besserer Laune zu sein als die drei, die schon bald stumm rauchend und nun Bier trinken um einen Tisch sitzen. Ab und an wechseln sie ein paar Worte, schreien sich ob der lauten Musik an. Sie wirken nostalgisch, müde, depressiv gar. Nur ab und an mischt sich ein träges Lächeln auf ihre Gesichter.
Sie bleiben nicht lange. Den Rest ihres zweiten Bieres, welches sie nur mühselig trinken können, lassen sie stehen und verabschieden sich, einen abenteuerlichen Heimweg zu beginnen. Abkürzen wollen sie sich die Strecke, klettern über ein Gatter und sehen sich vor einer abgezäunten Schnellstraße. Zurück und weiter, die nächste Gelegenheit. Am Ende eines verschneiten Feldes stoßen sie erneut auf die Schnellstraße, oder ist gar die Autobahn? Sie haben keine Lust, erneut umzukehren und folgen dem Feld der Straße entlang, überqueren eine Böschung, die es vom nächsten Feld abtrennt und liefern sich eine kurze Schneeballschlacht bevor es weiter geht. Am Ende des zweiten Feldes sehen sie die gesuchte Straße samt Brücke über das zuvor unüberwindbare Hindernis. Nun, die gesuchte Straße ist es nicht, aber eine, die weiterhilft, auch wenn sie sich einmal in einem großen Kreis bewegten. Um zu ihr zu gelangen, müssen sie einen Steilhang erklimmen. Zweien von ihnen gelingt es beim ersten Anlauf, der dritte rutscht fluchend ab, flucht auch, dass die beiden oben in schallendes Gelächter fallen. Doch lachen sie nicht über sein Missgeschick als vielmehr über den großen Penis aus Schnee, der von Unbekannten mitten auf der Brücke errichtet worden war. Sie stellten sich um ihn herum auf und lachend photographierten sie ihn, bevor sie ihren Marsch, nun auf ebenem Grund, der aber nicht minder verschneit ist – zumindest hatte das Schneetreiben in der Luft etwas nachgelassen -, fortsetzen.
Nach einem, vergleichsweise kurzen, restlichen Marsch stoßen sie auf die angestrebte Bushaltestelle und der Nachtbus kommt auch in wenigen Minuten. Schnell wird für jeden der jeweilige Heimweg nachgeschaut. Derweil nähert sich ein Unbekannter der Haltestelle und beginnt, ebenfalls auf den Bus wartend, Schneebälle nach dem Haltestellenschild auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu werfen. Einer der drei kommentiert seine Würfe, die keine einheitliche Einschätzung der Wurfqualitäten des Fremden zulassen.
Der Bus kommt, sie steigen ein, fahren einige Stationen, steigen aus und warten, sichtlich ermüdet und mit zermürbten Gesichtern, auf ihre jeweilige nächste Verbindung.
Bald wird die Sonne aufgehen.

02.02.2013

Transmorphose

Was treibt uns durch den großen Lauf,
Der groß und klein vorüberstreift,
Gleichwohl doch hunderttausendfach,
In Wellen, die wir nicht begreifen
Doch zu erfassen stetig eifern,
Im Urgrund tönt, im  Æon kracht,
Mit Hohngelächter nach uns greift,
Was treibt hinunter, treibt hinauf?

Muss ich wirklich mich ihr fügen,
Kraft die treibt, vernichtensmächtig?
Kann ich nicht vielmehr sie fliehen,
Ewigkeiten zu erleben,
Mit dem Urgrund raunend leben,
Bei den Schwestern nächtens liegen,
Die da spinnen, schicksalsträchtig,
Dass sie ruhen unter Schüben?

Aus Nähe wächst das weite Nichts
In das ich schwebend trete ein
Durch Einigung mit dreifach Kraft,
An die mein Fleisch ich hab gebunden,
In nächtlich roten Liebesstunden
Geschossen meinen Schicksalsaft.
Berauscht und trunken diesen Weins
Verlass ich Zeit und Raum und Licht

14.01.2013

Janus Mundano - Ein Dichter wie keiner

So schwer ich mich mit moderner Literatur tue, obwohl Wolf Haas und Christian Kracht in jüngster Zeit mir ein positiveres Bild selbiger erzeugen konnten, umso schwere tue ich mich mit moderner Lyrik, nicht nur in ihrer Form, ganz allgemein bringt die heutige Zeit kaum noch Dichter hervor, die einen zu ergreifen wissen. Ein Günter Grass versucht sich daran, bittere Wahrheiten in dichterischer Form zu allgemeinerer Anerkennung zu führen, versagt abseits des Inhaltes jedoch auf allen Ebenen, wählt eine Form, die das Gedicht in die absolute Lächerlichkeit zieht, nicht nur seines, sondern die moderne Lyrik an sich. Meine Erfahrungen mit jungen Nachwuchsdichtern im Rahmen von Düsseldorf ist ARTig wollten das düstere Bild auch nicht aufhellen, ebensowenig die von der passiven, unterhaltungssüchtigen Jugend so gefeierter Poetry Slam Szene. Ich selbst flüchte mich in meinem eigenen dichterischen Werk ja auch nur in die Welt Trakls, Georges und Jüngers.
Doch wer geduldig abwartet, der findet mit der Zeit etwas besonderes. Und so fand ich im Herzen Münchens einen Menschen, der mit Herzblut schreibt wie Novalis, ein Gespür für Reime hat wie Goethe und zu guter Letzt die kosmischen Zusammenhänge erkennt wie Crowley. Das ist Janus Mundano, so sein Pseudonym. Er hält sich nicht mit Metren auf sondern lebt ganz im Fluss der Laute und der Bilder, die sie erzeugen. Es ist gar erstaunlich, dass eine solche Bildgewalt möglich ist, ohne sich ganz archaischen Sprachmustern und Wendungen hinzugeben; er scheut sich nicht der Alltagssprache der Moderne, dem saloppen Ton der Jugend, ob nun in langen Elegien und Anrufungen vergessener Naturgeister oder in prägnanten Zwei- bis Vierzeilern, die Janus Mundano als begnadeten Aphoristiker auszeichnen, so beispielsweise in folgendem Verslein, dass ohne Titel auskommt:
Seht nur der Planeten Lauf,
ihr Geist geht uns durch Seele auf.
Allein diese zwei Zeilen zeichnen ihn als Eingeweihten aus, bezeugen, dass er auf der richtigen Spur ist, zu erkennen, was die Welt im Inneren zusammenhält. Janus fordert seine Leser. Sein Werk ist wohl nur begrenzt verständlich, kennt man sich nicht aus mit den Göttern und Geistern, die in unserer Welt wirkten und wirken, mit den Gesetzen der Alchimie, hat man kein ganzheitliches Bewusstsein für Raum und Zeit.
Lyrik ohnehin will ja gesprochen und gehört werden, lebt durch den Klang; gelesene Lyrik ist nicht vielmehr als ein Schatten ihrer selbst. Noch stärker gilt dies für die Lyrik Janus Mundanos, die er selbst begnadet vorträgt, mit einer Stimme so angenehm, schauderschickend und ergreifend wie ich es zuletzt erlebte wenn der junge Oskar Werner Rilke liest. Kein Wunder also, dass Janus Mundano seine Gedichte auch selbst liest, diese Lesungen auf Youtube für jeden zugänglich macht und auch auf Bühnen steht und sitzt, ein Erlebnis, dass ich nur jedem ans Herz legen kann, der die Möglichkeit dazu hat.

Nun sei aber genug der Werbung, kauft sein Buch oder Hörbuch.
Hier noch alle relevanten Links:
Janus Mundanos Homepage
Janus Mundano auf Facebook
Janus Mundano auf Youtube