28.03.2012

In die Sterne fallen

Gemächlich werden die Abende angenehmer. Alsbald die Sonne versunken ist, wehen kühlere Lüfte, doch ist es angenehm im lauen Abendwind noch einmal das warme Heim zu verlassen, das freie Feld aufzusuchen.
Großartiges geschieht, zeigt sich dem Gesichte des geneigten Beobachters. Mond, Venus und Jupiter gesellen sich am Himmelszelt in einer andächtige Konjunktion, sie sind sich nah wie lange nicht mehr und wie sie lange nicht mehr nah sein werden. In der Dämmerung ist dieser kraftspendene Blick am besten einzufangen, doch auch zu später Stunde zeigen sich ungeahnte Energien. Denn, wie ich im feuchten Grase liegend, den Blick in die Sphären gerichtet, die silbrig braune Sichel unseres Trabanten, der zu diesem Zeitpunkt wie eine Verlängerung der Deichsel des Großen Wagens erschien, betrachtete, ward es mir, als zuckten rote Feuerräder in konzentrischen Kreisen, von Venus ausschlagend, um diesen, unseren, Mond. Der Schein blendete, doch wandte ich den Blick nicht ab. Mit der Zeit zuckten diese, von pink nach rubin allerlei Spektren abdeckenden, planetaren Swastiken immer schwächer, letzte Funken stoben wie Blitze in einem leuchtenden rotorange, dann blieb nur Venus, feurrot wie die pure Ekstase.
Überwältigend, diese Kraft der Gestirne. Die Optik ist nur der geringste Aspekt, denn was dies Spektakel seelisch auslöste, lässt sich nicht in Worte fassen. Hier war ein Moment kosmischer Transzendenz, eine Metamorphose des Ichs, hin zu einem wonnigen Sein, eingeflochten in das kosmische Gefüge. Scharlach. Gedankenfetzen aus dem letzten Frühsommer dringen ins Bewusstsein. Scharlach prägte die Sternenmeditationen des letzten Jahres. O, Du holde Verführung! Hier zeigt sich erneut die Periodizität der Erscheinungen; Ankündigungen, die vom Seelengrund in das Weltenall wandern und sich in den Sterne verlieren, im Verloren-Gehen neue Ordnung finden, verbannt in die Weiten des Kosmos, wie einst die Artemis den großen Jäger und seinen giftigen Tod verbannte.
Nicht verloren geht mein Blick auf das Sternenzelt. Hier kommt die Sprache dem Geschehen entgegen. Denn, wie die hohen Halme das Gesicht kitzeln, die ausgestreckten Arme den noch jungen Klee spüren und der blinkende aber glücklicherweise spärliche Flugverkehr das Auge von Zeit zu Zeit abzulenken sich bemüht, fällt mein Blick auf die Sterne. Auf sie, von oben. Es sind Momente der gefühlten Gravitationslosigkeit. Wie klein unsere Welt doch ist, werden wir dem gewahr, was sich um uns für eine Fülle erspannt. Den Blick hoch zum Himmel gerichtet, ist dies Oben aber nur eine Projektion unserer unzulänglichen Wissenschaft. Vielmehr ist es ein Eintreten, hinaus aus der Nichtigkeit Terras in die All-Einheit. Man fällt aus allen Wolken, aber nicht auf den Heimatboden, nein, sondern in die Fremde der höheren Ordnung. Fällt und taucht ein, dringt ein in dieses Reich der milliarden Sonnen, die als kleinere und größere Punkte das Firmament sprenkeln, und doch sind sie alle weitaus größer als unsere ährengüldene und blendend weiße Sonne, die uns allabendlich als Feuerscheibe in den Häuserschluchten engleitet, fällt wie als falle man in Zeitlupe durch ein reines Gewässer, doch ohne Aufprall. Und plötzlich schwebt man in diesem Weltraume, in dem es keine Richtungen mehr gibt, treibt als perpetuum mobile asteroidengleich vorbei an Monden, Göttern, Gasriesen, kreuzt Kometen und pendelt sich ein im Netz der unzähligen Sonnen. Sternennebel erscheinen wie Fraktale und in allen Farben sehen wir uns darin wie im Spiegelkabinett. Und Supernovae und Schwarze Löcher sind uns keine Mysterien mehr, ihr raison d'être findet sich in uns selbst, uns treibenden Elementarteilchen der All-Einigkeit.
Die Bilder werden zu groß, die Worte zu klein und auf einmal spüren wir wieder das Gras im Antlitz kitzeln und den Klee die Finger streifen. Ist die Erde nicht auch ein Fraktal? Gleicht der Embryo nicht Pangäa? Und die Augen, sind sie nicht Supernovae, die im Tode zu einem Schwarzen Loch werden? Und die Blütenblattbildung der Pflanzen, ist sie nicht die Umsetzung geozentrischer Wahrnehmung der Planetenbahnen? Der Zoom in die Mandelbrot-Menge erinnert daran, wie es ist, in die Sterne zu fallen.

03.03.2012

In Flingern

Die Luft in Flingern schmeckt nach Arbeit
Schmeckt nach getaner Arbeit, feierabends
Heimwärtsfahrend frischer, kühler Luft,
Dem Duft von Tabak und Caffee.

Der Klang von Flingern ist die Arbeit
Klingt nach Straßenbahngebimmelklirre,
Autos die ganz irre Straßen kreuzen
Und schneuzend wartet da ein alter Mann.

Mein Blick auf Flingern gilt den Häusern
Die alt und starr ihr Antlitz wohl bewahren
Wo Fahrstühle nur selten fahren, denn Treppen
Steppen meine schwarzen Stiefel.