17.02.2013

Ein Prosastück

Drei junge Männer steigen in den Aufzug, fahren aus dem sechsten Stock ins Erdgeschoss, verlassen das Haus und bahnen sich durch halb geschmolzenen Schnee den Weg zur Trambahn. Unterwegs halten sie zweimal an: erst kaufen sie Zigaretten an einem Automaten, dann betreten sie eine Filiale der Sparkasse und einer von ihnen hebt Geld ab, während er auf die Reaktion dieses Automaten wartet überklebt er einen Antifaaufkleber. Sie reden Englisch, trinken Gin Tonic und VoFa.
Mit der Tram, welche bald darauf kommt, fahren sie einige Stationen, werden dort bereits von zwei Männern erwartet und machen sich mit ihnen auf in den zwielichtigen Keller eines Jugendzentrums. Dort angekommen setzen sie sich. Einige Zeit später gesellen sich zwei Mädchen zu der Runde. Dann beginnt die Musik. Die zwei, die sie an der Tram abholten werden bald ihren ersten Bühnenauftritt haben und hatten im engen Freundeskreis zur Generalprobe geladen. Eigenkreationen werden nicht gespielt, lediglich vier Interpretationen bekannter Stücke, die eigenwillig umgesetzt sind und, trotz des etwas schiefen Gesangs, dem Publikum zu gefallen wissen. Sie trinken anschließend gemeinsam noch ein wenig, bevor es gemeinsam zur Tram zurück geht. Ein Stück weit fahren sie gemeinsam, dann verlassen nach und nach Musiker und Mädchen die drei, die sich noch fragen, ob sie wirklich weiter fahren wollen, sich dann aber dazu entschließen.
Auf der Fahrt in den Osten Münchens beginnt es stark zu schneien, sehr stark. Die Tram macht auf halber Strecke halt und fährt nicht mehr weiter. Sie müssen aussteigen und im dichtesten Schneetreiben rauchend und trinkend auf die nächste Tram warten. Nach kurzer gemeinsamer Aufregung über den Ausfall unterhalten sie sich bald wieder wie vorher und bald kommt auch die Tram, mit der sie weit hinaus fahren, in verschneite Stadtteile, die ihnen nicht sehr vertraut sind und auch wenig städtisch aussehen. Sie suchen nach dem Bus, den sie nehmen wollen, finden ihn nicht und entscheiden sich dann für eine andere Tram, die sie ihrem Ziel näher bringt. Von dort aus müssen sie laufen, navigiert von den neuesten Errungenschaften moderner Technik. Es beginnt also ein Fußmarsch durch dichten, flockigen Schnee in den ihre Stiefel tief einsinken. Es ist mitten in der Nacht, da sie die angestrebte Lokalität erreichen und sich unter das dunkel gehüllte Volk mischen. Die Bekannten, welche sie antreffen, scheinen besserer Laune zu sein als die drei, die schon bald stumm rauchend und nun Bier trinken um einen Tisch sitzen. Ab und an wechseln sie ein paar Worte, schreien sich ob der lauten Musik an. Sie wirken nostalgisch, müde, depressiv gar. Nur ab und an mischt sich ein träges Lächeln auf ihre Gesichter.
Sie bleiben nicht lange. Den Rest ihres zweiten Bieres, welches sie nur mühselig trinken können, lassen sie stehen und verabschieden sich, einen abenteuerlichen Heimweg zu beginnen. Abkürzen wollen sie sich die Strecke, klettern über ein Gatter und sehen sich vor einer abgezäunten Schnellstraße. Zurück und weiter, die nächste Gelegenheit. Am Ende eines verschneiten Feldes stoßen sie erneut auf die Schnellstraße, oder ist gar die Autobahn? Sie haben keine Lust, erneut umzukehren und folgen dem Feld der Straße entlang, überqueren eine Böschung, die es vom nächsten Feld abtrennt und liefern sich eine kurze Schneeballschlacht bevor es weiter geht. Am Ende des zweiten Feldes sehen sie die gesuchte Straße samt Brücke über das zuvor unüberwindbare Hindernis. Nun, die gesuchte Straße ist es nicht, aber eine, die weiterhilft, auch wenn sie sich einmal in einem großen Kreis bewegten. Um zu ihr zu gelangen, müssen sie einen Steilhang erklimmen. Zweien von ihnen gelingt es beim ersten Anlauf, der dritte rutscht fluchend ab, flucht auch, dass die beiden oben in schallendes Gelächter fallen. Doch lachen sie nicht über sein Missgeschick als vielmehr über den großen Penis aus Schnee, der von Unbekannten mitten auf der Brücke errichtet worden war. Sie stellten sich um ihn herum auf und lachend photographierten sie ihn, bevor sie ihren Marsch, nun auf ebenem Grund, der aber nicht minder verschneit ist – zumindest hatte das Schneetreiben in der Luft etwas nachgelassen -, fortsetzen.
Nach einem, vergleichsweise kurzen, restlichen Marsch stoßen sie auf die angestrebte Bushaltestelle und der Nachtbus kommt auch in wenigen Minuten. Schnell wird für jeden der jeweilige Heimweg nachgeschaut. Derweil nähert sich ein Unbekannter der Haltestelle und beginnt, ebenfalls auf den Bus wartend, Schneebälle nach dem Haltestellenschild auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu werfen. Einer der drei kommentiert seine Würfe, die keine einheitliche Einschätzung der Wurfqualitäten des Fremden zulassen.
Der Bus kommt, sie steigen ein, fahren einige Stationen, steigen aus und warten, sichtlich ermüdet und mit zermürbten Gesichtern, auf ihre jeweilige nächste Verbindung.
Bald wird die Sonne aufgehen.

02.02.2013

Transmorphose

Was treibt uns durch den großen Lauf,
Der groß und klein vorüberstreift,
Gleichwohl doch hunderttausendfach,
In Wellen, die wir nicht begreifen
Doch zu erfassen stetig eifern,
Im Urgrund tönt, im  Æon kracht,
Mit Hohngelächter nach uns greift,
Was treibt hinunter, treibt hinauf?

Muss ich wirklich mich ihr fügen,
Kraft die treibt, vernichtensmächtig?
Kann ich nicht vielmehr sie fliehen,
Ewigkeiten zu erleben,
Mit dem Urgrund raunend leben,
Bei den Schwestern nächtens liegen,
Die da spinnen, schicksalsträchtig,
Dass sie ruhen unter Schüben?

Aus Nähe wächst das weite Nichts
In das ich schwebend trete ein
Durch Einigung mit dreifach Kraft,
An die mein Fleisch ich hab gebunden,
In nächtlich roten Liebesstunden
Geschossen meinen Schicksalsaft.
Berauscht und trunken diesen Weins
Verlass ich Zeit und Raum und Licht