02.04.2013

Gedanken zum Roten Werk von Menegroth

„Lass edle Wut aufkochen wie eine Welle. Es herrscht ein Menschenkrieg, ein heiliger Krieg!“ - Ein Black Metal Album, für das eine Aufnahme des Rote Armee Chors als Intro dient hört man nicht alle Tage, wenn dann auch noch Hammer und Sichel das Cover zieren ziehen instinktiv die meisten, selbst noch so politisch Unkorrekte, den Schwanz ein. Menegroth haben etwas geschafft, worauf man im heutigen Black Metal unglaublich stolz sein kann: sie haben tatsächlich provoziert, und gar die Szene selbst. Mit Das Rote Werk liefern die Schweizer ein Album auf einem intellektuellem Niveau, welches man im politischen Black Metal sonst vergeblich sucht; ein Niveau was man sonst nur von Antitheologen wie Deathspell Omega in der religiösen Sparte findet. Liest man Reviews und verfolgt sonstige Reaktionen auf das Album zeigt sich auch sofort, dass der gewöhnliche Black Metal und/oder NSBM-Fan damit weitestgehend überfordert ist (und sowieso gilt nur rechts als cool und wer ein wenig in linken Vorstellungen schwelgt wird automatisch zum Buhmann). Zu tief gräbt das Album in der politisch-philosophischen Kiste und fördert dabei vor allem etwas zu Tage, was selbst so manchen Experten diesen Gebietes zur Weißglut treibt: Ernst Jüngers Der Arbeiter.
Doch bevor die tiefgehende Interpretation beginnt sei ein grober Überblick gegeben.
Zwölf Stücke vereint Das Rote Werk, welche den ideengeschichtlichen und realhistorischen Ablauf der Entstehung und Etablierung der Sowjetrepublik Russland metaphorisch überzeichnet darstellen. Von Jüngers Vorstellungen des Arbeitertypus über die Oktoberrevolution, hin zur Machtübernahme Stalins und den damit einhergehenden Verrat der kommunistischen Idee.


Mit Der STAHLinistische Arbeiter liefert Texter Marinetti eine, für einen Black Metal Text, hervorragende Zusammenfassung des jungen Jüngers Hauptwerkes. Strophe für Strophe, gar Zeile für Zeile findet ihr Äquivalent auf einer der 300 Seiten. Der Typus des Arbeiters entspricht dem „geborenen Pionier einer neuen Landschaft“ schreibt Jünger, ein Typus der aus der titanenhaften Mechanisierung der Moderne das bürgerliche Individuum vertreibt. Bei Menegroth hört sich das so an: „Schmilzt er die Stände in sich ein, / gebiert daraus eine neue Welt: / ein eiserner Adel will geboren sein / unter einem LED-Himmelszelt. // Der Arbeiter aus Stahl ist zum Kampf bereit, / denn nieder geht die alte Zeit! / In feuerroten Flammen / alles bürgerliche verdammen!“ Der Arbeiter ist Typus, ist eine uniforme Maske und „in dieser Maskenhaftigkeit, die bei Männern einen metallischen [...] erweckt“ zeichnen auch Menegroth ihren Arbeiter. „'Ja' zu sagen zum Nidergang, / zur auflösung der Klassen, / zum egalitären Massendrang, / zur Vermischung der Rassen! // Bis eine neue Welt sich formt, / ein neuer Adel entsteht, / Ungleichheit sich neue Werte normt / und ein neues Banner weht!“ ist die lyrische Entsprechung von: „Erst die völlige Zersplitterung, das Sinnloswerden der alten Gefüge macht es möglich, daß die Wirklichkeit eines anderen Kraftfeldes in Erscheinung tritt.“ Und einige Seiten weiter, dass „Rasse innerhalb der Arbeiterlandschaft mit biologischen Rassebegriffen nichts zu schaffen hat. Die Gestalt des Arbeiters mobilisiert den gesamten Bestand ohne Unterschied.“ Was auf den ersten Blick wie marxistische Theorie aussieht, kommt eigentlich aus ganz anderer Richtung.

Rote Revolution setzt von der Außenwirkung ebenfalls hier an. Stärker noch sieht es nach klassischem Sozialismus aus, doch gibt direkt die erste Zeile die eigentliche Richtung vor: „Roter Merkur offenbart sich uns“. - Wir befinden uns in der Alchemie, bei den bisherigen Evola-Einflüssen im Werke Menegroths nicht verwunderlich. Der historische Vorgang der Oktoberrevolution wird alchemistisch ausgelegt und weicht damit ab von der Glorifizierung der sozialistischen Revolution in ihrem politischen Lager, nicht nur weil der marxistische Materialismus durchbrochen wird, auch weil diese historische Betrachtung keine wertende ist sondern die Konsequenz der Materialisierung der Idee zum Hintergrund hat; „Magie ist Physik durch Wollen“, der Wille zur Macht, dies ist der Diskurs in dem sich dieses Stück bewegt.

Diesen Kommentar setzt Sowjetische Nächte fort und bringt erstmals eine sexuelle Komponente ins Spiel, die später noch wichtig wird. Kampf, Sex und Alkohol, die Trinität des Rausches, wird besungen, was erneut Jünger ins Gedächtnis ruft, diesmal mit Der Kampf als inneres Erlebnis sowie der berühmt-berüchtigen Burgunderszene der Strahlungen (fast wie eine Illustration dieser Szene sieht auch das Booklet an dieser Stelle aus, wobei dies wohl eine persönliche Überinterpretation ist).

Marxistische Mysterien treibt es auf die Spitze. Wenn Stalin und Lenin Techno-Nekromantie in einem antiken Tempel zwischen Tesla-Spulen und Räucherschalen betreiben um Marx zu neuem Leben zu erwecken fragt man sich, ob man das noch ernst nehmen kann. Aber ja, innerhalb des Ideenkosmos dieser Band ist das möglich und nur berechtigt, denken wir daran, dass sie (die Band, nicht Stalin und Lenin, versteht sich) auf dem vorigen Album auch mit Reichsflugscheiben durch Nebel und Kometenstaub geflogen sind. Hier zeigt sich erstmals offensichtlich die eigentliche Intention des Konzeptes: die Bloßstellung, wie unreflektiert Kommunisten ihre historischen Persönlichkeiten glorifizieren. Zugleich kristallisiert sich mehr und mehr eine interessante Alternative: Die Symbiose aus Alchemie und der bolschewistischen Lehre, aber nicht in der pervertierten Halbherzigkeit des Nationalsozialismus sondern auf dem philosophischen Niveau eines Alexander Dugins. „Es lodern die Flammen /zum letzten Gefecht! / Hörst die Signale / Völker dieser Welt! // Aus Ruinen auferstanden: / Diese Welt soll unser sein!“ So endet das Stück und zitiert mit der Internationalen und Auferstanden aus Ruinen nun auch munter aus kommunistischem Liedgut, was sich hervorragend in den Kontext im Sinne obiger Interpretation einbettet.

Wo nun die Sowjetrepublik installiert ist, kommt es zum Wendepunkt des Albums. Hier, im Zentrum, befindet sich ein Ambientstück, dessen Titel aus den astrologischen Zeichen für Merkur und Sonne, sowie einem alchemistischen Symbol für Schwefel besteht. Ein Aphorismus des kolumbianischen Denkers Nicolás Gómez Dávila wird geboten: „Die moderne Gesellschaft erniedrigt sich mit solcher Schnelligkeit, dass wir an jedem neuen Morgen mit Nostalgie des Gegners von Gestern gedenken. Die Marxisten fangen schon an, uns als die letzten Aristokraten des Okzidents zu erscheinen.“ Dieses Zitat wirft die Schatten des Stalinismus voraus, der nach einem ratadierenden Moment sich bald seinen Weg bahnen wird; ein Schatten, der einem das leninistische Sowjetrussland nostalgisch erscheinen lässt, in dessen Vorzügen man noch eine Weile schwelgen kann.

Roter Phallinismus bildet einen Teil dieses Schwelgens, des retardierenden Moments, und zugleich das, was, wie ich finde, auf keinem guten Black Metal Album fehlen darf: Ein Lied über Sex. Wie bereits einmal erwähnt spielt Sexualität eine Rolle hier und in diesem Stück manifestiert sie sich in wunderschönen Metaphern und tantrischen Aspekten. Der Sexualakt als die Verschmelzung des männlichen und weiblichen Prinzips bildet ohnehin einen alchemistischen Grundsatz, der auch hier wieder um die mechanisierte Komponente erweitert wird. Das Booklet illustriert das Stück mit einer futuristischen Leninstatue, die in ihrer Erhabenheit vor phallischer Symbolik strotzt. Nur ist auch Lenin nicht omnipotent und schon wieder drängt sich der stalinistische Schatten auf, der nur darauf zu warten scheint, dass das Glied erschlafft. Interessant ist in diesem Stück übrigens auch ein musikalisches Experiment: zur Mitte hin kommt ein grandioser Jazz-Part der sich sehen bzw. hören lassen kann und die Rauschhaftigkeit des Stückes hervorragend unterstützt.

Red Lion Pub schreitet voran zum Stalinismus. Noch im Rausch schwelgend wird der Bolschewismus zum Löwen, den zu bändigen nicht jeder vermag. Immer wenn es um Macht geht, geht es um die Vermehrung dieser, bzw. die Konzentration dieser auf einen kleinen Personenkreis. „Nigredo – Albedo – Rubedo“ heißt es hier, „schwarz – weiß – rot“ in unserer Sprache. In Deutschland kommt Hitler an die Macht, Nationalbolschewismus ist mit Stalin en vogue, Trotzki ist die Weltrevolution dennoch wichtiger. „Vollendet ist das rote Werk!“ schließt das Stück. Alles was nun kommt, ist anders. Trotzki wird im Exil getötet.

In diesem Geist steht auch das folgende Intermezzo, die Kosakenballade Nachts steht Hunger, deren letzte Strophe wohlgemerkt ausgelassen wird. Zurecht, denn „das Heer, dass keine Heimat hat“ ist tot, den Säuberungen zum Opfer gefallen, so wird das Lied zum Schwanengesang eines einsamen alten Kämpfers dessen Identität unklar bleibt. Ist er ein alter Leninist, gar Trotzkist, oder doch im Sinne des Liedes ein „Weißer“ aus Zarenzeiten?

Tanks'n'Roses zeigt die Wende. Hinter der Metapher des „Baron vom weißen Heer“ verbirgt sich Stalin der sich aufschwingt zum Sowjetdiktator und sich damit in die Tradition des Zaren stellt, die Diktatur des Proletariats unterbindet und nur neues Leid, neuen Krieg bringt. Noch weiter interpretiert kann die Metapher auch eine Doppelfunktion haben und durch das vorausgegangen „Nigredo – Albedo – Rubedo“ kann sich hier auch Hitler verstecken, der Russland mit Panzern überrollt. Beide sind sich ohnehin in Anschauung und Methode ähnlicher als so manchem Neonazi wie Kommunisten lieb ist. Es handelt sich hier um ein sowohl-als-auch, was selbstverständlich im starken Widerspruch zur marxistischen Dialektik steht. Sowohl der innerussische Kampf Stalins gegen seine politischen Gegner als auch der scheiternde Russlandfeldzug wird thematisiert.

Die Mönche des roten Zaren führt hin zum Ende. Sie „besiegeln mit imperialen Fanfaren / des neuen Caesars Macht.“ Stalin ließ sich ab seinem 50. Geburtstag „Führer“ nennen. „Die Welt, sie ist errettet worden, / das Proletariat ausgestorben, / das Pantokrators höchster Sohn / stieg auf den Weltenthron.“ Stalin als Messiasgestalt ist eine gewagte aber im Kontext vollkommen berechtigte Aussage. „Der Kreml / ist zurückgewonnen, / das Blut der Revolutionäre geronnen, / der Zar besteigt den Thron. / Treu dem starken und mächtigen Zaren, / der uns zum Ruhme führe und herrsche: / Im Glanz der Tradition!“ Mit diesen letzten Zeilen wird nun darauf verwiesen wie unter Stalin die russische Folklore und Tradition als mächtiges Propagandamittel genutzt wurde, durch den sakralen Bezug vor allem auch die russische Orthodoxie.

So kann das Album in aller Orthodoxie auch enden, wenn es heißt Gott, schütze den Zaren.


Ja, Das rote Werk verwirrt und fordert seinem Hörer eine Menge Gedankenarbeit ab und nach eingehender Beschäftigung wird auch klar, wieso es diese Abstoßreaktionen hervorrief. Der Rechte ist im allgemeinen so arrogant wie der Linke dogmatisch und fürchtet jede Idee eines fremden Gedankenkosmos. Der Alchimist hingegen ist geschult, die Gemeinsamkeiten der Dinge zu sehen und diesen Überblick für sich zu nutzen. Das Rote Werk ist ein Paradebeispiel für politische und denkerische Kreativität; ein Black Metal Album, dass genau die Funktion erfüllt, der Black Metal heuer nicht mehr nachkommt.

Wer sich dafür interessiert wie es klingt, der lese die vorhandenen Rezensionen, denn auf nichts anderes gehen sie ein, oder erwerbe das Album.

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