In Zeiten überfüllter
Universitäten durch doppelte Abiturjahrgänge, den Abfall
von Wehr- und Zivildienst und dem Volksglaube, jeder bräuchte
ein Studium, da unserem Land die Akademiker fehlen, fragt man sich:
Macht ein Studium einen zum Akademiker?
Schon Friedrich Georg Jünger
beklagt in seinem „Erinnerungsbuch“ Grüne Zweige,
die Studenten enttäuschen ihn, zerstören das Ideal, dass er
von den Besuchern eine Akademie habe. Diese Kritik an der Situation
zur Zeit der Weimarer Republik ist heute umso schärfer zu
formulieren, da wir uns der kritischen Masse des Ertragbaren
annähern. Alle wollen studieren. Nein, alle wollen einen Wisch
mit einem akademischen Titel in der Tasche haben, studieren will
heuer kaum einer mehr. Man schreibt sich ein für
Betriebswirtschaftslehre und Mediendesign, oder, wenn man einfach
keine Idee hat, Philosophie. Die Folgen sind von Desinteressierten
überfüllte Hörsäle, lästige Grundsatzfragen
und Studenten, die statt an Wissenserwerb von klein auf an Karriere
denke, gestützt von einem System, dass genau diese Haltung auch
noch fördert.
Es ist nicht nur
der Ausdifferenzierung der Wissenschaften und ihrer jeweiligen
Detailfülle und auch nicht den modularisieren Studiengängen,
die einem kaum Wahl lassen, allein zu verdanken, dass unsere Zeit
keine Universalgelehrten und -genies mehr hervorbringt, sondern auch
der Haltung der Studenten selbst: jene Lustlosigkeit, sich einen
Überblick zu verschaffen über die Disziplinen, unabhängig
von der eigenen. Das ist es, was den Akademiker vom Absolventen einer
Hochschule unterscheidet. Was hält den Physiker davon ab
Foucault, was den Germanisten Darwin, was den Juristen Jung zu lesen?
Ab und an das passende Bibelwort, Goethe- oder Hessezitat hat heuer
kaum einer mehr. Schlicht: Grundlegende kulturelle Allgemeinbildung
hat sich rar gemacht. Selbst die alteingesessenen
Studentenverbindungen, die nach wie vor ihr konservatives Fähnchen
in den Wind halten, haben die Balance zwischen Kneipen und
akademischen Diskussionen verloren.
Die Ökonomisierung
des Studiums auf allen Ebenen ökonomisiert die Studenten und ihr
Denken, so dass für die Karriere Wissen und Bildung auf der
Strecke bleiben. Das Phänomen hat einen Namen: Es ist der
Verlust des akademischen Stolzes. Jener Einstellung, dass man im
Zustand des Studierens lebt; nicht der Job, den man einmal haben
wird, zählt, sondern das Gespräch unter Freunden und
Kommilitonen über die Lektüre des Vortages. Weiter als bis
zum nächsten Flohmarkt, auf dem man wieder neue Bücher und
Platten abstauben kann, muss man vorerst nicht an die Zukunft denken.
Wenn das Land so an Akademikern mangelt, dann soll es Bücherpakete
und Freikarten für Museen und Konzerte vergeben, keine
Karrierecoachings.
Bleibt
die Frage: Wo ist der akademische Stolz geblieben? Man kann seinen
Verlust „der Regierung“ in die Schuhe schieben, ihre Gründe
sollten nachvollziehbar sein. Wer Ideologisch argumentiert mag
vielleicht die 68er und ihre Erben anklagen, doch diese sind immerhin
politisch gebildet und ihr revolutionärer
kulturwissenschaftlicher Ansatz kann als letzter Versuch gelten, das
Wahrnehmungsspektrum auszudehen. Nicht zu verleugnen ist der
Zusammenhang mit der Auflösung des Bildungsbürgertums in
das Bürgertum, die Radikalisierung mit der mobilen
Digitalisierung. Doch wie passt das mit dem zusammen, was Jünger
bereits in den 20er Jahren beobachtet? Vielleicht liefert er selbst
die Antwort, weiß es nur nicht, in seinem Buch Die
Perfektion der Technik.
Es
bleibt nur zu sagen, dass mehr Studenten noch keine Akademiker
machen, ungeachtet dessen, wie inflationär und euphemistisch das
Wort gebraucht wird.