15.11.2012

Identitäre Bewegung für Dummies

Lies erst einmal, rede dann, wenn du dich informiert hast.
Diese Worte richtete Friedrich Georg Jünger oft an seinen Neffen, wenn sie in Diskussionen verstrickt waren; an und für sich also ein wirklich fieses argumentum ad hominem, kann die Jugend sich doch nicht gegen die Altersweisheit wehren, die aus einem jahrzehntelangen Studium genährt wird. Doch kann auch die Jugend lesen, die öffentlichen Bibliotheken stehen offen, an Büchern voll, doch an Menschen leer. Doch darum soll es hier nicht gehen.
Hier soll es um die so genannten Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) gehen, die neueste Entwicklung der modernen Rechten. Die IBD ist in erster Linie eine vom Internet aus agierende lose Gemeinschaft junger Rechter, die von den bedeutenden Organen wie Blaue Narzisse etc. gefördert wird, vor allem dadurch, dass diese über sie berichtet. Die zeitgeschichtlichen Hintergründe und Vorbilder der IBD möchte ich hier nicht kurz umreißen, wer sich dafür interessiert sei auf die BN verwiesen oder google einfach. Hier von Interesse sei die innere Struktur der IBD und vor allem eine Charakterisierung jener, die sich ihr zugehörig fühlen.
Ich selbst heiße die Ziele der IBD für gut und redlich, doch meine Erfahrungen im Umgang mit jenen, die sich dort ebenfalls angesprochen fühlen, erzeugen in mir ein Gefühl der Übelkeit und ich muss mich wahrlich am Riemen reißen, eine nicht zu pädagogische und vor allem nicht zu arrogante Rolle einzunehmen. Auch ziehe ich meinen Hut vor Persönlichkeiten wie Felix Menzel und allen anderen, die das Phänomen mit geistigen Inhalten füllen, kluge Dinge darüber aussagen und, um es ganz vulgär zu sagen, Ahnung haben, wovon sie sprechen.
Diese intellektuellen Eliten und Vordenker stehen nur leider im Kontrast zu jenen Gestalten, die sich außerdem in der Bewegung tümmeln und sich als identitär ausgeben. Es sind dies, so scheint es auf den ersten Blick, ganz normale Jugendliche, die, was durchaus lobenswert ist, mit der politischen Situation der BRD unzufrieden sind und sich mit dem ethnopluralistischen Nationalgedanken anfreunden ohne, getreu dem Motto „100% identitär, 0% rassistisch“, andere zu verachten. Auf den zweiten Blick sind es aber Jugendliche, die gerade noch klug genug sind, keine Neonazis zu werden, trotzdem aber dem nationalen bzw. identitären Gedanken folgen wollen, was sich leider auch nur wieder in tumben Phrasen, Kampfbegriffen und dergleichen niederschlägt, ohne intellektuell untermauert zu sein. Um es auf die Fakten herunter zu brechen: Wir haben es nicht mit bibliophilen Bildungsbürgern zu tun sondern mit gefrusteten Proletariats- und Präkariatskindern. Wobei dies auch ein all zu voreingenommenes Urteil sein könnte, nichtsdestotrotz machen auch jene, welche die gymnasiale Laufbahn durchgemacht, keinen besseren Eindruck auf mich.
Es handelt sich um lesefaule, eingelullte Mainstreammedienkonsumenten. Nun ist die IBD zwar nicht unbedingt die Konservative Revolution, hat aber doch deutliche Schnittstellen mit dieser und scheint mir momentan gleich ihrem Erben. Was jener Masse an Identitären also fehlt, sind Primärtexte. Menzel & Co. können noch so kluge Essays schreiben, Der Funke immer wieder die Inkonsequenz des nationalen Widerstand heraufbeschwören, was bringt es den Jugendlichen, wenn sie sich nicht selbst mit der Gedankenwelt der großen und wichtigen, mit Jünger (beiden Brüdern, denn Friedrich Georgs Technikkritik sei jedem als Opposition ans Herz gelegt, der Ernstens Arbeiter studiert), Hielscher, Spengler und Hofmannsthal, um nur ein paar zu nennen, auseinandergesetzt? Da skandiert ein in der Automobilmanufaktur arbeitender mit Hauptschulabschluss, seine Mutter sei die Sprache und sein Vater das Land ohne die Hofmannsthalsche Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ analysiert zu haben; und auch die Aktionen der Identitären scheinen mir tief im globalisierten Pluralismus verwurzelt. Ich bitte mit aller Deutlichkeit darum, mir zu erklären, was daran identitär sein soll, mit Skimasken zu elektronischer Musik in der Öffentlichkeit aufzutreten, Schilder schwingend, auf denen „Multikulti wegtanzen“ geschrieben steht. Ich halte dem entgegen eine wirklich identitäre Aktion: Die Jugend gehe in ihrer Alltagsklamotte auf einen Platz mit vielen Menschen und rezitiert chorisch bedeutende deutsche Sprachkultur. Oh, es würde Eindruck schinden und sogar den mitte-links Feuilleton die IBD ernst nehmen lassen, skandierten 15 oder 30 oder gar 50 Münder gemeinsam die Aufklärungsdefinition Kants. So wird Jugend ernst genommen, man erkennt ihr Anliegen, wenn es aus den vielen Mündern wie aus einem schallt:
Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Und da man sich ja einig ist, dass die zunehmende Islamisierung aufzuhalten sei, fahre man doch bitte die großen Geschütze auf und proklamiere ein wenig Nietzsche. Gott ist Tot und wir haben ihn getötet, nicht dadurch, dass wir vom Glauben abgefallen sind, nein, wir töten Gott dadurch, dass wir einen fremden Religions- und somit Kulturkreis unsere (mehr oder minder) christliche Kultur vertreiben lassen. Im Anschluss folge noch ein Auszug der Proklamationen des Ludwig Derleth:
Jesus Maria.
Ich wachte und erschienen mir drei Zeichen: Der Blitz, der Adler und der Stern.
Ich, Ludwig Derleth, bin allein und habe alle verbündet gegen mich und erkläre im Namen Jesus von Nazareth den Krieg.
Ich vergehe vor dir, o Herr, und gebe mich ganz in deine Hand, welche das Schwert führt und die Gefallenen segnet.

An alle Regimenter, Magazine und Werkstätten der Welt.
Wir dezimieren.
Wir rufen den Rest der tüchtigen Männer vor die Front und scheiden aus.
Wir verlassen die Armee und gründen ein neues Reich.
Und wer es hart auf hart kommen lassen will, würzt das ganze mit einer Prise Cornet.
Dies ist freilich die radikale Variante, aber Radikalität, Krieg und Gewalt ist es, was jene Jugendlichen fasziniert, so wie sie es aus dem Fernsehen und vom Computer kennen. Lektüre ist nichts für die junge Generation. Der Kampf als inneres Erlebnis beim lesen schwerer Stoffe und großer Gedankenwelten überfordert den Mausklickschützen. Der Wille zur Aktion ist da, nur ist man in seiner eigenen Phantasie, im Begriffskosmos so beschränkt, dass die intellektuelle und stilvolle Revolte keine Option zu sein scheint. Selbstverständlich könnte auch Schillers ästhetische Erziehung, der eine oder andere Klassiker der Lyrik (Sarrazin beklagt das Aussterben von „Wanderers Nachtlied“ in unseren Köpfen, da er gar nicht mehr auf die Idee kommt, jemand könne den „Prometheus“ auswendig) oder Novalis rezitiert werden. Worauf es ankommt, ist eine Rückkehr, eine Besinnung auf die Literatur, eine Begeisterung, d.h. Belebung, all jener Gedanken, die rechtes bzw. konservatives bzw. identitäres also im Endeffekt deutsches Denken prägten.
Beklagen muss man diesen Rückstand der modernen jungen Rechten – und hierbei muss ich noch einmal anmerken, dass es auch die, wenn auch zahlenmäßig unterlegene, andere, kluge und belesene Seite gibt, der meine Hochachtung gilt – gegenüber der jungen Linken, die wesentlich belesener ist, die ihre Meinung durchdrungen hat und argumentativ stützen kann, die ihren Hegel, ihren Marx, Lenin und Adorno gelesen und verstanden hat oder sich immerhin bemüht, dies zu tun, die sich trifft in öffentlichen Diskussionsrunden und im lockeren Umgang Klugheit auf dem Weg zu ihrer Revolution beweist.
Auf drängt sich hier die Frage, wieso der Nationalismus heutzutage nun ein solcher Idiotenmagnet ist. Sie zu beantworten vermag auch ich nicht, es scheint ein Teufelskreis. Der eigene Nationalismus wird tautologisch begründet woraus direkt resultiert, dass man gar nicht das Bedürfnis hat, sich den intellektuellen Unterbau anzueignen, „Ich bin stolz denn ich bin hier geboren“ scheint auszureichen, und da wo Sprache die Mutter sein soll, haben wir es mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind so unzulänglich gesäugt hat, dass es eine traumatische Laktoseintoleranz entwickelte.
Das ist die betrübende Moderne, in der Rilkes Worte nur noch ein Wunschtraum der musisch erzogenen sind:
Denn was der Eine erzhlt, das haben auch sie erfahren und gerade so. Als ob es nur eine Mutter gäbe...