15.11.2012

Identitäre Bewegung für Dummies

Lies erst einmal, rede dann, wenn du dich informiert hast.
Diese Worte richtete Friedrich Georg Jünger oft an seinen Neffen, wenn sie in Diskussionen verstrickt waren; an und für sich also ein wirklich fieses argumentum ad hominem, kann die Jugend sich doch nicht gegen die Altersweisheit wehren, die aus einem jahrzehntelangen Studium genährt wird. Doch kann auch die Jugend lesen, die öffentlichen Bibliotheken stehen offen, an Büchern voll, doch an Menschen leer. Doch darum soll es hier nicht gehen.
Hier soll es um die so genannten Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) gehen, die neueste Entwicklung der modernen Rechten. Die IBD ist in erster Linie eine vom Internet aus agierende lose Gemeinschaft junger Rechter, die von den bedeutenden Organen wie Blaue Narzisse etc. gefördert wird, vor allem dadurch, dass diese über sie berichtet. Die zeitgeschichtlichen Hintergründe und Vorbilder der IBD möchte ich hier nicht kurz umreißen, wer sich dafür interessiert sei auf die BN verwiesen oder google einfach. Hier von Interesse sei die innere Struktur der IBD und vor allem eine Charakterisierung jener, die sich ihr zugehörig fühlen.
Ich selbst heiße die Ziele der IBD für gut und redlich, doch meine Erfahrungen im Umgang mit jenen, die sich dort ebenfalls angesprochen fühlen, erzeugen in mir ein Gefühl der Übelkeit und ich muss mich wahrlich am Riemen reißen, eine nicht zu pädagogische und vor allem nicht zu arrogante Rolle einzunehmen. Auch ziehe ich meinen Hut vor Persönlichkeiten wie Felix Menzel und allen anderen, die das Phänomen mit geistigen Inhalten füllen, kluge Dinge darüber aussagen und, um es ganz vulgär zu sagen, Ahnung haben, wovon sie sprechen.
Diese intellektuellen Eliten und Vordenker stehen nur leider im Kontrast zu jenen Gestalten, die sich außerdem in der Bewegung tümmeln und sich als identitär ausgeben. Es sind dies, so scheint es auf den ersten Blick, ganz normale Jugendliche, die, was durchaus lobenswert ist, mit der politischen Situation der BRD unzufrieden sind und sich mit dem ethnopluralistischen Nationalgedanken anfreunden ohne, getreu dem Motto „100% identitär, 0% rassistisch“, andere zu verachten. Auf den zweiten Blick sind es aber Jugendliche, die gerade noch klug genug sind, keine Neonazis zu werden, trotzdem aber dem nationalen bzw. identitären Gedanken folgen wollen, was sich leider auch nur wieder in tumben Phrasen, Kampfbegriffen und dergleichen niederschlägt, ohne intellektuell untermauert zu sein. Um es auf die Fakten herunter zu brechen: Wir haben es nicht mit bibliophilen Bildungsbürgern zu tun sondern mit gefrusteten Proletariats- und Präkariatskindern. Wobei dies auch ein all zu voreingenommenes Urteil sein könnte, nichtsdestotrotz machen auch jene, welche die gymnasiale Laufbahn durchgemacht, keinen besseren Eindruck auf mich.
Es handelt sich um lesefaule, eingelullte Mainstreammedienkonsumenten. Nun ist die IBD zwar nicht unbedingt die Konservative Revolution, hat aber doch deutliche Schnittstellen mit dieser und scheint mir momentan gleich ihrem Erben. Was jener Masse an Identitären also fehlt, sind Primärtexte. Menzel & Co. können noch so kluge Essays schreiben, Der Funke immer wieder die Inkonsequenz des nationalen Widerstand heraufbeschwören, was bringt es den Jugendlichen, wenn sie sich nicht selbst mit der Gedankenwelt der großen und wichtigen, mit Jünger (beiden Brüdern, denn Friedrich Georgs Technikkritik sei jedem als Opposition ans Herz gelegt, der Ernstens Arbeiter studiert), Hielscher, Spengler und Hofmannsthal, um nur ein paar zu nennen, auseinandergesetzt? Da skandiert ein in der Automobilmanufaktur arbeitender mit Hauptschulabschluss, seine Mutter sei die Sprache und sein Vater das Land ohne die Hofmannsthalsche Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ analysiert zu haben; und auch die Aktionen der Identitären scheinen mir tief im globalisierten Pluralismus verwurzelt. Ich bitte mit aller Deutlichkeit darum, mir zu erklären, was daran identitär sein soll, mit Skimasken zu elektronischer Musik in der Öffentlichkeit aufzutreten, Schilder schwingend, auf denen „Multikulti wegtanzen“ geschrieben steht. Ich halte dem entgegen eine wirklich identitäre Aktion: Die Jugend gehe in ihrer Alltagsklamotte auf einen Platz mit vielen Menschen und rezitiert chorisch bedeutende deutsche Sprachkultur. Oh, es würde Eindruck schinden und sogar den mitte-links Feuilleton die IBD ernst nehmen lassen, skandierten 15 oder 30 oder gar 50 Münder gemeinsam die Aufklärungsdefinition Kants. So wird Jugend ernst genommen, man erkennt ihr Anliegen, wenn es aus den vielen Mündern wie aus einem schallt:
Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Und da man sich ja einig ist, dass die zunehmende Islamisierung aufzuhalten sei, fahre man doch bitte die großen Geschütze auf und proklamiere ein wenig Nietzsche. Gott ist Tot und wir haben ihn getötet, nicht dadurch, dass wir vom Glauben abgefallen sind, nein, wir töten Gott dadurch, dass wir einen fremden Religions- und somit Kulturkreis unsere (mehr oder minder) christliche Kultur vertreiben lassen. Im Anschluss folge noch ein Auszug der Proklamationen des Ludwig Derleth:
Jesus Maria.
Ich wachte und erschienen mir drei Zeichen: Der Blitz, der Adler und der Stern.
Ich, Ludwig Derleth, bin allein und habe alle verbündet gegen mich und erkläre im Namen Jesus von Nazareth den Krieg.
Ich vergehe vor dir, o Herr, und gebe mich ganz in deine Hand, welche das Schwert führt und die Gefallenen segnet.

An alle Regimenter, Magazine und Werkstätten der Welt.
Wir dezimieren.
Wir rufen den Rest der tüchtigen Männer vor die Front und scheiden aus.
Wir verlassen die Armee und gründen ein neues Reich.
Und wer es hart auf hart kommen lassen will, würzt das ganze mit einer Prise Cornet.
Dies ist freilich die radikale Variante, aber Radikalität, Krieg und Gewalt ist es, was jene Jugendlichen fasziniert, so wie sie es aus dem Fernsehen und vom Computer kennen. Lektüre ist nichts für die junge Generation. Der Kampf als inneres Erlebnis beim lesen schwerer Stoffe und großer Gedankenwelten überfordert den Mausklickschützen. Der Wille zur Aktion ist da, nur ist man in seiner eigenen Phantasie, im Begriffskosmos so beschränkt, dass die intellektuelle und stilvolle Revolte keine Option zu sein scheint. Selbstverständlich könnte auch Schillers ästhetische Erziehung, der eine oder andere Klassiker der Lyrik (Sarrazin beklagt das Aussterben von „Wanderers Nachtlied“ in unseren Köpfen, da er gar nicht mehr auf die Idee kommt, jemand könne den „Prometheus“ auswendig) oder Novalis rezitiert werden. Worauf es ankommt, ist eine Rückkehr, eine Besinnung auf die Literatur, eine Begeisterung, d.h. Belebung, all jener Gedanken, die rechtes bzw. konservatives bzw. identitäres also im Endeffekt deutsches Denken prägten.
Beklagen muss man diesen Rückstand der modernen jungen Rechten – und hierbei muss ich noch einmal anmerken, dass es auch die, wenn auch zahlenmäßig unterlegene, andere, kluge und belesene Seite gibt, der meine Hochachtung gilt – gegenüber der jungen Linken, die wesentlich belesener ist, die ihre Meinung durchdrungen hat und argumentativ stützen kann, die ihren Hegel, ihren Marx, Lenin und Adorno gelesen und verstanden hat oder sich immerhin bemüht, dies zu tun, die sich trifft in öffentlichen Diskussionsrunden und im lockeren Umgang Klugheit auf dem Weg zu ihrer Revolution beweist.
Auf drängt sich hier die Frage, wieso der Nationalismus heutzutage nun ein solcher Idiotenmagnet ist. Sie zu beantworten vermag auch ich nicht, es scheint ein Teufelskreis. Der eigene Nationalismus wird tautologisch begründet woraus direkt resultiert, dass man gar nicht das Bedürfnis hat, sich den intellektuellen Unterbau anzueignen, „Ich bin stolz denn ich bin hier geboren“ scheint auszureichen, und da wo Sprache die Mutter sein soll, haben wir es mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind so unzulänglich gesäugt hat, dass es eine traumatische Laktoseintoleranz entwickelte.
Das ist die betrübende Moderne, in der Rilkes Worte nur noch ein Wunschtraum der musisch erzogenen sind:
Denn was der Eine erzhlt, das haben auch sie erfahren und gerade so. Als ob es nur eine Mutter gäbe...

02.09.2012

Integrale Gnosis

Patchwork-Religionen sind en vogue. Das Unvermögen der Heutigen, sich einer Kirche und ihrer Mystik zu widmen, ist groß und zeitgleich machen es jene Kirchen einem auch nicht leicht, passen sie sich doch auch dem antidogmatischen Zeitgeist in Glaubensfragen an. Da der Normalgläubige nun auch nicht unbedingt die geistige Reife und Offenheit hat, Glaubensfragen wirklich zu durchdringen, glaubt er eben von allem etwas, nämlich, was ihm gefällt. Ein bisschen christliche Nächstenliebe, ein bisschen buddhistische Reinkarnationslehre (hinduistische ist ja ob der Kastendogmatik absolut nicht angesagt), dann noch islamische Wissenschaftsnähe und, nicht zu vergessen, diverse indigene Schamanenzauber. Hier paart sich gefährliches Halbwissen mit weltoffenem Gutbürgertum, dass niemals eine wirklich erkenntnisreiche Glaubenserfahrung ermöglichen kann.
Doch Patchwork-Religionen sind gar nicht notwendig. Sie sind vornehmlich ein Phänomen der christlich-westlichen Welt und gerade die Christen bräuchten sie eigentlich nicht, würden sie die Kirchen und die Gesellschaft nicht derartig einlullen, sich wirklich intensiv mit den Botschaften christlicher Lehre auseinander zu setzen, sprich: Bibel lesen und gnostisch arbeiten bzw. leben.

Integrale Gnosis ist der Gegenentwurf zur Patchwork-Religion. Integrale Gnosis ist die konsequente, mystische Fortsetzung und Übersetzung des christlichen Impulses in das moderne, das Wassermann-Zeitalter.
Gewisse Vorstufen der Gedanken der integralen Gnosis sind bereits vor Jahren gemacht worden, aber sie wurden vergessen oder falsch ausgelegt, und falsche Auslegung meint hier den weiteren Alleinbezug auf die Erlösung durch Christus. Hier beginnt es anders zu werden, hier muss integriert werden. Der Mensch, auf der Suche nach Erlösung, stellt sich in die Mitte aller geistig-göttlichen Kräfte, auf dass ihre Energien durch ihn fließen und sich so miteinander verbindung, alle Teilungen aufzuheben. Das Vorbild hierfür ist, im Wortsinne, das Bild des Ostermysteriums. Jesus Christus ist eine Leitfigur, eine Art Heiliger, dessen Pfad ein jeder auf dem Weg zum Einklang mit der Göttlichkeit gehen muss, dass heißt: sich allen Gewalten göttlichen Ursprungs, also allen Geschöpfen und Gedanken stellen.
Die indischen Yantras in ihrer vielfältigen Punktsymmetrie entsprechen einem ähnlichen System. Für die integrale Gnosis bedeutet dies, dass der Mensch sich im Zentrum eines solchen Yantras befindet und alle Kräfte um ihn tosen. Er hat sie zu bündeln und durch sich zu lenken, dann vereinen sie sich geistreich-schöpferisch in ihm.
Doch werden wir konkret. Die dualistische Einteilung in GUT und BÖSE ist veraltet, sie entstammt dem petrischen Christentum der Kirchengemeinden. Es gibt eine vielzahl mächtiger Kräfte, die gegeneinander wirken, nichtsdestotrotz alle in Beziehung zueinander stehen. Die vier mächtigsten, die Urmächte bilden eine Quadrinität und sind:
 - Gott-Schöpfer, der alttestamentarische Demiurg, יהוה. Die Namen sind viele. Er ist das schöpferische Prinzip, der matriarchalische Rachegott und somit die Kraft der Herrschaft.
 - Gott-Zerstörer, Satan, der Widersache und Ankläger. Er ist des Schöpfers direkter Gegenspieler und im Gegensatz zu dessen Beständigkeit allein im Hier und Jetzt mächtig als weibliches Prinzip der Lust des gelebten Augenblickes mit all seinen Genüssen.
 - Gott-Sohn, Jesus Christus, ist das weibliche Prinzip der Fürsorge, der geistigen Liebe und Überwindung des Todes in ewiger Wiederkehr.
 - Gott-Kraft, Luzifer, der unbeugsame Engel, ist das männliche Prinzip geistiger Potenz und Seelenkraft, das ganzheitlich-bewusste Leben.
Geeint werden alle diese Kräfte vom Heiligen Geist, der als göttliches Urprinzip alles durchdringt.

Integrale Gnosis heißt nun nichts anderes, als im Bewusstsein der Vielfalt der Kräfte zu Leben und in gleichwertiger Verehrung bzw. Ritualisierung dieser die Transzendenz und schlussendlich den Übergang in die göttliche All-Einheit zu erreichen. Kirchen können nur bedingt als Stützen dabei dienen, schließlich bleibt Gnosis individuelle Erfahrung.

04.04.2012

Was gesagt werden musste

Renommierte Köpfe in der Bundesrepublik trauen sich nur selten, bittere Wahrheiten auszusprechen. Warum das so ist, beweist auch wieder der neueste Fall:
Günter Grass, der zuletzt in die Presse kam, als seine Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS bekannt wurde, hat auf seine alten Tage sich noch einem medienwirksam in Szene gesetzt mit einem antizionistischen Gedicht, dass hier einzusehen ist. Mal beiseite geschoben, dass dies Werk genau in die Sparte Lyrik fällt, die ich am wenigsten so bezeichnen möchte und die mir, ästhetisch betrachtet, so rein gar nicht gefällt (wie auch Grass' Werk insgesamt mir wenig zusagt), muss ich Grass inhaltlich in etlichen Punkten zustimmen, zumal mich das ganze sehr an meine vor eineinhalb Jahren verfasste und im November hier veröffentlichte Kritik an der Nachkriegslyrik erinnerte. Zustimmen kann ich da nicht, wo Grass immer wieder betont, wie sehr Tätervolk Deutschland doch sei, allerdings kann man diese Passagen auch nicht im (vermutlichen) Sinne des Autos so interpretieren, dass sie eben diese mangelhafte Vergangenheitsbewältigung anprangern.
Doch kommen wir zu den Reaktionen auf dies Werk: Wie sollte es anders sein - der Zentralrat der Juden ist hochgradig empört. Emmanuel Nahshorn (was ein Name!), israelischer Botschafter in Berlin haut zudem in die alte Kerbe, dass pünktlich zu Ostern die Juden mal wieder für irgendetwas als Sündenbock herzuhalten haben:
Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen
...
Michel Friedmann zu Günter Grass' Israelkritik: Gedicht ein „aggressives Pamphlet der Agitation“ - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/deutschland/umstrittenes-iran-gedicht-zentralrat-der-juden-ist-entruestet-ueber-grass_aid_732743.html
.
Das stimmt sogar, ich möchte nur stark anzweifeln, dass es Grass' Religiösität ist, die hier zum Vorschein kommt. Antisemitismus äußert sich heutzutage doch in erster Linie in Form von ZOG-Verschwörungen etc. anstatt religiöser Rachegelüste fundamentaler, Christentum missinterpretierender Anhänger des christlichen Glaubens.
Auch wird Grass vorgeworfen, er verdrehe Tatbestände. Demnach hat der Iran mit Sicherheit also Atomwaffen, bei Israel wird dies nur vermutet und Deutschland dürfe gefälligst zwecks Erhalt des Weltfriedens keine Waffen an den Iran ausliefern. Zudem dürfe man in Deutschland ungehindert Israel kritisieren, ohne gleich die kleine Welt des Zentralrats der Juden zu empören.
In aller Dreistigkeit heißt es zudem, Grass würde Israel das Existenzrecht aberkennen. Wer dies sagt, kann offenbar nicht lesen. Das Gedicht ist klar und eindeutig formuliert. Grass will lediglich, dass Israel eine friedlichere Politik betreibt, womit er sich in Gesellschaft von Erich Fried stellt, nur dass letzterer entsprechendes fordern darf, schließlich ist er Jude, was natürlich alles besser macht. Was da also interpretiert wurde ist noch abwegiger als die Rezension eines gewissen Spiegel-Autos eines kürzlich erschienenen Romans eines schweizer Schriftsteller, die immerhin auf einen Mangel an Ironieverständnis und generell Humor zurückzuführen ist.

Ja, die Grenzen zwischen Antizionismus und Antisemitismus sind fließend. Doch geht es nicht um Kritik am Staate Isreal ob seines Jüdisch-Seins, es geht um Kritik an westlicher Machtpolitik. Es ist doch nicht Israel alleine, dass den Iran als Bedrohung ansieht. Es gibt da insbesondere noch die USA (die allerdings eine Lobbykratie - die rassische Selbstdefinition der meisten Lobbyisten dort sollte hinlänglich bekannt sein). Und sowieso profitiert die westliche Wirtschaftswelt immer vom Krieg. Die Dekadenz, die in diesem Konflikt offensichtlich wird, kann widerlicher nicht sein. Ehrlichkeit ist in Gänze gewichen aus der modernen Machtpolitik. Mit allen Mitteln wird die trockene und korrekte Analyse eines Sachverhaltes unterbunden und schlecht geredet. Der Holocaust ist das ultimative Totschlagargument der deutschen Gesellschaft. Damit jedoch Geschäfte zu legitimieren, die, wie Grass trefflich beschreibt, einen größeren Schaden an der Menschheit anrichten könnten als dies Historikum, ist pure Bestialität. Ich spucke aus vor solch einem monströsen, ekelhaften Verhalten. Die antigrass'schen prozionistischen Agitatoren sollten sich schämen für diese Unmenschlichkeit. Pfui!

Erich Fried - Womit vergleichen?

Im Knesseth, dem Parlament von Israel
war von zionistischen Extremisten die Rede.
Ihre Terroranschläge haben zum Beispiel den
Bürgermeister von Nablus um beide Füsse gebracht.

Da erklärte der zweite Sprecher des Knesseth:
"Aber das ist ja
unsere Aufgabe ihnen die Eingeweide
und die Gliedmassen und die Augen auszureissen!"

Mir als Jude fällt der Vergleich
von Juden mit Nazis nicht leicht
aber womit
kann man diese Worte vergleichen?
...
Michel Friedmann zu Günter Grass' Israelkritik: Gedicht ein „aggressives Pamphlet der Agitation“ - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/deutschland/umstrittenes-iran-gedicht-zentralrat-der-juden-ist-entruestet-ueber-grass_aid_732743.html

28.03.2012

In die Sterne fallen

Gemächlich werden die Abende angenehmer. Alsbald die Sonne versunken ist, wehen kühlere Lüfte, doch ist es angenehm im lauen Abendwind noch einmal das warme Heim zu verlassen, das freie Feld aufzusuchen.
Großartiges geschieht, zeigt sich dem Gesichte des geneigten Beobachters. Mond, Venus und Jupiter gesellen sich am Himmelszelt in einer andächtige Konjunktion, sie sind sich nah wie lange nicht mehr und wie sie lange nicht mehr nah sein werden. In der Dämmerung ist dieser kraftspendene Blick am besten einzufangen, doch auch zu später Stunde zeigen sich ungeahnte Energien. Denn, wie ich im feuchten Grase liegend, den Blick in die Sphären gerichtet, die silbrig braune Sichel unseres Trabanten, der zu diesem Zeitpunkt wie eine Verlängerung der Deichsel des Großen Wagens erschien, betrachtete, ward es mir, als zuckten rote Feuerräder in konzentrischen Kreisen, von Venus ausschlagend, um diesen, unseren, Mond. Der Schein blendete, doch wandte ich den Blick nicht ab. Mit der Zeit zuckten diese, von pink nach rubin allerlei Spektren abdeckenden, planetaren Swastiken immer schwächer, letzte Funken stoben wie Blitze in einem leuchtenden rotorange, dann blieb nur Venus, feurrot wie die pure Ekstase.
Überwältigend, diese Kraft der Gestirne. Die Optik ist nur der geringste Aspekt, denn was dies Spektakel seelisch auslöste, lässt sich nicht in Worte fassen. Hier war ein Moment kosmischer Transzendenz, eine Metamorphose des Ichs, hin zu einem wonnigen Sein, eingeflochten in das kosmische Gefüge. Scharlach. Gedankenfetzen aus dem letzten Frühsommer dringen ins Bewusstsein. Scharlach prägte die Sternenmeditationen des letzten Jahres. O, Du holde Verführung! Hier zeigt sich erneut die Periodizität der Erscheinungen; Ankündigungen, die vom Seelengrund in das Weltenall wandern und sich in den Sterne verlieren, im Verloren-Gehen neue Ordnung finden, verbannt in die Weiten des Kosmos, wie einst die Artemis den großen Jäger und seinen giftigen Tod verbannte.
Nicht verloren geht mein Blick auf das Sternenzelt. Hier kommt die Sprache dem Geschehen entgegen. Denn, wie die hohen Halme das Gesicht kitzeln, die ausgestreckten Arme den noch jungen Klee spüren und der blinkende aber glücklicherweise spärliche Flugverkehr das Auge von Zeit zu Zeit abzulenken sich bemüht, fällt mein Blick auf die Sterne. Auf sie, von oben. Es sind Momente der gefühlten Gravitationslosigkeit. Wie klein unsere Welt doch ist, werden wir dem gewahr, was sich um uns für eine Fülle erspannt. Den Blick hoch zum Himmel gerichtet, ist dies Oben aber nur eine Projektion unserer unzulänglichen Wissenschaft. Vielmehr ist es ein Eintreten, hinaus aus der Nichtigkeit Terras in die All-Einheit. Man fällt aus allen Wolken, aber nicht auf den Heimatboden, nein, sondern in die Fremde der höheren Ordnung. Fällt und taucht ein, dringt ein in dieses Reich der milliarden Sonnen, die als kleinere und größere Punkte das Firmament sprenkeln, und doch sind sie alle weitaus größer als unsere ährengüldene und blendend weiße Sonne, die uns allabendlich als Feuerscheibe in den Häuserschluchten engleitet, fällt wie als falle man in Zeitlupe durch ein reines Gewässer, doch ohne Aufprall. Und plötzlich schwebt man in diesem Weltraume, in dem es keine Richtungen mehr gibt, treibt als perpetuum mobile asteroidengleich vorbei an Monden, Göttern, Gasriesen, kreuzt Kometen und pendelt sich ein im Netz der unzähligen Sonnen. Sternennebel erscheinen wie Fraktale und in allen Farben sehen wir uns darin wie im Spiegelkabinett. Und Supernovae und Schwarze Löcher sind uns keine Mysterien mehr, ihr raison d'être findet sich in uns selbst, uns treibenden Elementarteilchen der All-Einigkeit.
Die Bilder werden zu groß, die Worte zu klein und auf einmal spüren wir wieder das Gras im Antlitz kitzeln und den Klee die Finger streifen. Ist die Erde nicht auch ein Fraktal? Gleicht der Embryo nicht Pangäa? Und die Augen, sind sie nicht Supernovae, die im Tode zu einem Schwarzen Loch werden? Und die Blütenblattbildung der Pflanzen, ist sie nicht die Umsetzung geozentrischer Wahrnehmung der Planetenbahnen? Der Zoom in die Mandelbrot-Menge erinnert daran, wie es ist, in die Sterne zu fallen.

03.03.2012

In Flingern

Die Luft in Flingern schmeckt nach Arbeit
Schmeckt nach getaner Arbeit, feierabends
Heimwärtsfahrend frischer, kühler Luft,
Dem Duft von Tabak und Caffee.

Der Klang von Flingern ist die Arbeit
Klingt nach Straßenbahngebimmelklirre,
Autos die ganz irre Straßen kreuzen
Und schneuzend wartet da ein alter Mann.

Mein Blick auf Flingern gilt den Häusern
Die alt und starr ihr Antlitz wohl bewahren
Wo Fahrstühle nur selten fahren, denn Treppen
Steppen meine schwarzen Stiefel.

24.02.2012

Der Rauch hat Ohren

Für eine halbe Stunde beobachtete ich den Rauch zweier Opiumräucherstäbchen. Aus der Glut stieg jeweils ein dünner Faden, der sich auffächerte zu einer spitzwinkligen Fläche. Ruhig und konstant stieg der Rauch in die Höhe und wurde breiter und breiter, um sich dann etwa einen Drittelmeter im Raum aufzulösen.
Unter der Einwirkung von Musik jedoch begann er sich zu verändern. Er tanzte in ruhig fließender Bewegung zum Takt, bildete mannigfaltige Formen aus. Klangen die Töne tief, so begann sein Tanz weit unten, verschob sich die Tonhöhe nach oben, so stieg der Rauch mit an und konnte in seinem Tanz bis zu einem halben Meter ansteigen.
Dieser Tanz glich den natürlichen Schwingungen eines Körpers in Trance oder floß wie Wasser entlang einer Bahn. Ruhige Rhytmen erzeugten Wellen in der Horizontalen, die sich langsam nach oben schwangen und dabei immer breiter wurden. Klang die Musik hypnotischer, ging die Bewegung in die Vertikale, korkenzieherförmig strömte der Rauch dann in die Höhe, als die Athmospähre ihren Höhepunkt erreichte, im ruhigen Rhythmus mit hohen Tönen und einer harmonischen Mollmelodie, bildete sich gar eine majästetische Doppelhelix.
Lautstärke erzeugte immer wieder ganz neue, eigenartige Formen. Kein Tanz glich dem anderen. Floß die Musik in Richtungen, so wankten die Schwaden von rechts nach links. Zweifelsfrei die pure Schönheit war jedoch die Verflechtung der beiden Schwaden zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die synchrone Bewegung in der Vertikalen wurde harmonisiert von einer gegenläufigen horizontalen Drehung die ich mir nicht erklären kann. Die steilen, wenn auch unglaublich runden, Wellen verschraubten sich ineinander zu einem unbeschreiblichen Flechtband, was sich wunderbar in die Entwicklung der Musik einfügte.
Als wüssten sie, wie sich die Klänge entwickeln würden, brannten die Räuchestäbchen genau dann aus, als ein Musikstück ausklang. Die Schwaden zitterten im Vibrato des Schlusstons und verflüchtigten sich in die Stille.

10.02.2012

Leben ist Lieben - Bewusstes Sein durch Liebe

Leben ist nicht bloß simple Existenz. Wer bloß existiert ist und isst, der unterdrückt die Geistentfaltung. Die Existenz bleibt also simpel alswie der Mensch es unterlässt, bewusst zu existieren, zu leben, sich zwischen den Dualitäten zu positionieren und sich zwischen ihren Polen zu bewegen.
Ahriman ist die Qualität der simplen Existenz. Er hält uns im Irdischen, im Äußeren. Luzifer ist sein geistiges Gegenstück, die totale Vergeistigung des SEins in weltlicher Askese. Durch sein inneres Licht verschanzt man sich vor der Dunkelheit Ahrimans, verliert so aber den Bezug nach außen.
वाम मार्ग (Vama Marga) ist ein Weg der luziferisch-ahrimanischen Synthese. Durch den bewussten Genuss des weltlichen Lebens, des Stofflichen, transformiert Luzifer zu Uriel, dem äußeren Licht. Zwischen diesen beiden Lichtqualitäten kann sich der Mensch neu positionieren und im Licht seine Umwelt erkennen, bewusst sein und - was dei wichtigste neue Qualität ist - Lieben, denn Liebe ist Erkenntnis. In der Liebe offenbaren sich Menschen einander in ihrer vollkommenen Nachktheit, sowohl körperlich als auch seelisch. So kommt es auch, dass Sex erst dann wirklich befriedigend ist, wenn die Partner sich lieben - denn wie der Körper will auch die Seele stimuliert und befriedigt werden. Die tantrische Lehre - als eine der Haupbestandteile von वाम मार्ग - gibt davon Auskunft.
Für diejenigen, die nur existieren ist es ein Teufelskreis. Die rein körperliche Liebe, also Sex, als die ahrimanische Verlockung bietet keine seelische Befriedigung, nach der allerdings ein natürlich-menschliches Bedürfnis besteht. Der Existierende spürt dieses Bedürfnis, weiß es aber nicht zu definieren und verwechselt es mit der Libido, was dazu führt, dass er sich allerlei Abenteuern hingibt: Verkehr mit so vielen Personen als möglich, exotische, animalsche oder schlichtweg abstoßend bizarre Sexualpraktiken oder exessiver Masturbation.
Dadurch wird das Bedürfnis nach seelischer Befriedigung aber auch nicht gestillt, ganz im Gegenteil. Es wächst ins Unermessliche, ins Unaushaltbare.
Nichtsdestotrotz ist auch der Liebende nicht auf Monogamie angewiesen. Die mannigfaltigen Qualitäten der Liebe - das ist jede Form von konstruktiv-positiver geistig-seelischer Verbundenheit - ermöglichen körperliche und seelische Befriedigung mit beliebigen Partnern, nur muss eine Verbindung bestehen.
Das gesellschaftliche Liebespaar ist dadurch aber keinesweg beschnitten, denn diese radikale Verschmelzung aller Lebensbereich wird nur da geboten. Allerdings können externe sexuelle Erfahrungen dieses Miteinander enorm bereichern.
Hier gilt es, bewusst zu sein, die Bedürfnisse des Partners zu spüren und zu erfüllen.
Wassermann, das Neue Äon, als das Zeitalter des Individuums ist nicht nur bloße Qualität sondern auch Herausforderung. Die Herausforderun, dann, wenn alle Welt das Ich zelebriert das Wir zu erhalten. Denn Ich ist weltlich extrovertiert, ahrimanisch nach Außen gerichtet. Du ist das luziferisch-asketische Prinzip. Im Wir lebt die Synthese, Uriel, Christ, die Göttlichkeit. Wir ist das alles umfassende und alles begründende Prinzip der kosmischen All-Einheit. Ein bewusstes Wir ist Produkt und Grundlage der Liebe, die Überwindung der simplen Existenz hin zum Leben.

13.01.2012

Eine kleine Entwicklungstheorie

Mit 21 Jahren tritt der Mensch ins Erwachsenenleben ein. Es ist kein Zufall, dass 21 ein Vielfache von 7 ist, denn die Menschenentwicklung erfolgt in Siebenerstufen, wie schon Rudolf Steiner erkannte und in seiner Pädagogik als Kernbestandteil einbaute.
Auch wenn heutzutage der individuelle Lebensweg nicht mehr ganz so determiniert verläuft (zumindest auf persönlicher Ebene, die Kosmik sei diesmal außen vor gelassen), orientiert er sich dennoch, vor allemn wenn man das gesellschaftliche Leben betrachtet, nach wie vor an den Jahrsiebten: Nach 7 Jahren elterlicher Obhut erweiter das Kind seinen Horizont durch den Eintritt in in die Schule, mit 14 kommt es in die Pubertät und erlernt Stück für Stück die Selbstständigkeit, welche dann mit 21 (im Normalfall) erreicht ist und es ermöglicht, eine individuell gewählte Ausbildung zu durchlaufen, welche mit 28 vollendet ist und den Menschen in der Gesellschaft positioniert. Um diese Position zu verankern gründet er Familie und baut ein Haus, mit 35 ist die Verankerung abgeschlossen und dient in weiteren Jahrsiebten zur Ausweitung, Erweiterung der Position in mannigfaltiger Gestalt, ob mehr Nachfahren, beruflicher Beförderung, Erschließung neuer Interessensgebiet und Fähigkeiten etc.
*
Nun ist dieses SChema ein allgemeingültiges, so gut wie jede Biographie kann als Beweis dienen.
Die Qualität des Erreichten ist aber abhängig von sozio-psychologischen Bedingungen, die im weiteren nun erläutert werden sollen.
Als Grundliege dienen hier folgendene These meinerseits:
Charakterstärke ist ein universelles Potential, dass in jedem Menschen vorhanden ist, inwiefern es sich jedoch entfalten, kommt auf den Ursprungszustand des Potentials an und wie stark sein Ausbruch unterstützt und gefördert wird.
Ziel der Erziehung sei es, das Kind bzw. den Menschen in die Welt zu ziehen und es aus Abhängigkeit heraus zu ziehen.
Hierzu ist es von enormster Wichtigkeit, dass die Weltneugierde des Kinde von Beginn an gefördert wird. Die natürliche Neugierde des Kindes muss durch kindgerechte (bzw. altersgerechte) und verständliche Antworten auf alle fRagen unterstützt werden. Den größten Anteil daran nehmen die Eltern ein. Doch je mannigfaltiger auf die Vielfalt der Welt aufmerksam gemacht wird, desto besser ist es für das Kind, da so das Potential zur Bildung der Charakterstärke erhöht wird, was umso wichtiger wird, wenn das Potential tief verborgen zu sein scheint (bzw. ist), die natürliche Kindheitsneugier also ungewöhnlich gering ist.
Hier dient das Konzept der Patenschaft. Im Mittelalter war der Pate der eigentliche Erzieher, heute ist es Aufgabe des Paten (bzw. der Paten), dem Kind Perspektiven zu öffnen, ihm Aspekte der Welt zu offenbaren, die den Eltern verschlossen sind, ob nun ob unvermögens oder Desinteresse.
Es sind aber insbesondere die dem Kind nahestehenden Erzieher, die eine große Verantwortung tragen. Denn erst wenn das Kind begreift, dass es in der Welt immer etwas zu entdecken gibt, wird es seine Weltneugierde in der Autonomie (um nicht zu sagen: in der Mündigkeit) beibehalten. Moderne Erzieher, vor allem in Kindergärten und dergleichen, müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein und sie von Herzen ausleben.
Sachliche Basis der Weltneugierde ist Wissen über die Heimat. Sowohl physischer Natur (also der direkten Umwelt) als auch psychischer Natur (also Wissen über Kultur und Geschichten, deren Zusammenhänge und Wurzeln), denn dieses Wissen dient dazu die Heimat mit dem Fremden zu vergleichen, denn durch diesen Vergleich bzw. das Wissen über die Ähnlichkeiten und Unterschiede wächst bzw. entsteht erst die Weltneugier, da man sich mehr Vergleichsmaterial ersehnt.
Dem Kind sind hierzu mystische und allgemeingültige Inhalte zuträglich, also Märchen, Sagen und Legenden, sowie altersgerechte Literatur (denn nicht jedes Kinderbuch ist tatsächlich für Kinder geeignet). Im späteren Kindesalter und in der Jugend werden relisiöse, historische und beliebige fiktionale Schrifterzeugnisse sowie andere Medien wie Filme relevant, die eigene und fremde Kulturen kennenzulernen.
Wie also der Themenfokus im fortgeschrittenen Alter verschoben wird, so kommt es auch zu einer Verschiebung im sozialen Umfeld, denn durch die Schule kommt ein neues Element hinzu. Bis zu Pubertät sind die Eltern zwar noch recht aktiv, durch neue Indentifikationsfiguren (konkret: Lehrer) aber nicht mehr so einflussreich. Durch Aktivität des Kinde in sozialen Verbänden wie Klasse, Vereine oder den anderen, die auf der Straße, im nahen Wald o. ä. ebenfalls spielen.
Durch die starke Vermehrung des gesellschaftlichen Umfelded wird die Weltneugierde erstmal stimuliert. Hier zeigt sich dann besonders das Potential der Charakterstärke. Wer hier aufgibt und über die Pubertät hinaus nicht einsieht, dass es mehr als Computerspiele und den Fußballverein gibt, wird es vermutlich bzw. nur mit größter Anstrengung zur Individuation schaffen, sondern im System stagnieren, seinen Charakter verschlaffen lassen.
Weltneugierde führt zu Reflexion.
Reflexion führt zu Individuation.
Individuation führt zu Weltneugierde.
Unsere (deutsche bzw. westliche) Gesellschaft stellt die Individuation als wichtigen Prozess dar und autonom-individuelles DAsein als einen erstrebenswerten Zustand. Doch ist diese Version der Individualität, der so viele anhängen, eine Gaukelei. Sie vertusch die durch den Zerfall der Familie enstandene Isolation und setzt die berechnete Funktionalität eines Menschen innerhalb eines Systems mit Individualität gleich, obwohl es sich, aus gebührender Ferne betrachtet, um das Gegenteil handelt: Uniformität.
Dass so viele Menschen diesen Schleier nicht lüften, hat mit ihrem Unvermögen, dies zu tun, welches auf mangelnder Charakterstärke basiert, zu tun.
Hier wird deutlich, was Nietzsche den Willen zur Macht nannte: Sich selbst zu lenken und nicht das System einen lenken lassen. Der Wille zur Macht ist die Charakterstärke. Wer sein Potential voll ausschöpft ist Übermensch, wer es verkommen lässt ist Untermensch.
*
Nun ist Charakterstärke aber nicht nur die Befähigung, im Makrokosmos der Gesellschaft be-mächtigt zu sein, sondern auch im Mikrokosmus Dialog.
Charakterstärke ist Diskussionsfähigkeit.
Zuhören und zugehören sind nach verwandte Worte. Eine Grundvorraussetzung für eine funktionierende Diskussion ist, dass man sich einander zuhört. Dies ist jedoch mehr als die rein akustische Wahrnehmung. Es ist das dazugehören zu den Gedanken des anderen. Durch aufnehmen und durchleben werden sie erst richtig erhört. Aus der daraus resultierenden Reflexion kann erst eine rationale und angemessene Antwort formuliert werden.
Je besser man sich nach außen auf den anderen einlässt, desto tiefer blickt man dann auch ins Selbst.
Dies ist ein wechselseitiger Prozess, welcher, wenn von beiden Partnern richtig ausgeführt, das jeweilige Charakterpotential des Gegenübert stärkt und somit auch die Diskussionsfähigkeit, was wiederum auch auf die Individuation wirkt.
Erfahrung im Mikrokosmos wirkt sich also langfristig im Makrokosmos aus, und auch hier wieder umgekehrt.
Ist der Wille zur Macht eingeschläfert ist auch die Diskussionsfähig davon betroffen.
Das Ergebnis ist, dass Menschen aneinander vorbei reden. Antworten fallen dann irrational, meist emotional aus. Auch findet keine Einsicht statt, da kann man seinem Gegenüber noch so oft etwas noch so gut erklären - verstanden wird es nicht, zumindest wenn wirklich kein Funke Wille unter der Oberfläche mehr schimmert.
Eine häufig angetroffene Problematik liegt in der Terminologie. Menschen reden dann vor allem aneinander vorbei, wenn ihre Begriffe nicht gleich interpretiert sind. Objektive und neutrale Terme haben für weniger aufgeklärte eine Konnotation, was zu Missverständnissen führt. Und da man unterbewusst weiß, dass man unterlegen ist, bemüht man sich sein Unwissen mit Emotionalität - oft Diffamierung - zu kaschieren, anstatt den Mut zu haben, nachzufragen, um Erläuterung zu bitten; dies ist ebenfalls eine Frage des Willens zur Macht, der Charakterstärke, zu sich selbst zu stehen und, darauf aufbauend, sein Wissen zu mehren.
Früh gelernt zahlt sich aus, denn im Alter ist es erschwerlicher, sich Wisse und Fähigkeiten anzueignen.
Ein Umfangreicher Wortschatz kann hier hilfreich sein, - ist hilfreich. Denn je größer der Wortschatz, desto größer ist auch das allgemeine Wissen. Der SChluss liegt nahe, dass Synonymkenntnis für die Fähigkeit spricht, Sachverhalte differenziert und multiperspektivisch zu betrachten.
Alle Ausführungen lassen immer wieder den Schluss zu, legen ihn sogar nahe, dass in der frühkindlichen Erziehung der Lebensweg des werdenden Menschen massivst beeinflusst wird. Wir sollten uns bestens überlegen, was wir unseren Kindern zumuten. Unsere Gesellschaft hat an Idealismus nachgelassen. Doch Idealismus ist ein Aspekt der Charakterstärke. Der Wille zur Macht ist, sich ein neues Ideal zu suchen, wenn das alte erreicht ist.
Aus gebührender Distanz betrachtetwird alle sieben Jahre ein Ideal erreicht, unter immer anderen Umständen, in immer anderen Zusammenhängen, denn zu den Jahrsiebten gesellen sich die Neunerperioden die das Leben erst so spannend machen.