Lies erst einmal, rede dann, wenn du dich informiert hast.
Diese Worte richtete Friedrich Georg
Jünger oft an seinen Neffen, wenn sie in Diskussionen verstrickt
waren; an und für sich also ein wirklich fieses argumentum ad
hominem, kann die Jugend sich doch nicht gegen die Altersweisheit
wehren, die aus einem jahrzehntelangen Studium genährt wird.
Doch kann auch die Jugend lesen, die öffentlichen Bibliotheken
stehen offen, an Büchern voll, doch an Menschen leer. Doch darum
soll es hier nicht gehen.
Hier soll es um die so genannten
Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) gehen, die neueste
Entwicklung der modernen Rechten. Die IBD ist in erster Linie eine
vom Internet aus agierende lose Gemeinschaft junger Rechter, die von
den bedeutenden Organen wie Blaue Narzisse etc. gefördert wird,
vor allem dadurch, dass diese über sie berichtet. Die
zeitgeschichtlichen Hintergründe und Vorbilder der IBD möchte
ich hier nicht kurz umreißen, wer sich dafür interessiert
sei auf die BN verwiesen oder google einfach. Hier von Interesse sei
die innere Struktur der IBD und vor allem eine Charakterisierung
jener, die sich ihr zugehörig fühlen.
Ich selbst heiße die Ziele der
IBD für gut und redlich, doch meine Erfahrungen im Umgang mit
jenen, die sich dort ebenfalls angesprochen fühlen, erzeugen in
mir ein Gefühl der Übelkeit und ich muss mich wahrlich am
Riemen reißen, eine nicht zu pädagogische und vor allem
nicht zu arrogante Rolle einzunehmen. Auch ziehe ich meinen Hut vor
Persönlichkeiten wie Felix Menzel und allen anderen, die das
Phänomen mit geistigen Inhalten füllen, kluge Dinge darüber
aussagen und, um es ganz vulgär zu sagen, Ahnung haben, wovon
sie sprechen.
Diese intellektuellen Eliten und
Vordenker stehen nur leider im Kontrast zu jenen Gestalten, die sich
außerdem in der Bewegung tümmeln und sich als identitär
ausgeben. Es sind dies, so scheint es auf den ersten Blick, ganz
normale Jugendliche, die, was durchaus lobenswert ist, mit der
politischen Situation der BRD unzufrieden sind und sich mit dem
ethnopluralistischen Nationalgedanken anfreunden ohne, getreu dem
Motto „100% identitär, 0% rassistisch“, andere zu verachten.
Auf den zweiten Blick sind es aber Jugendliche, die gerade noch klug
genug sind, keine Neonazis zu werden, trotzdem aber dem nationalen
bzw. identitären Gedanken folgen wollen, was sich leider auch
nur wieder in tumben Phrasen, Kampfbegriffen und dergleichen
niederschlägt, ohne intellektuell untermauert zu sein. Um es auf
die Fakten herunter zu brechen: Wir haben es nicht mit bibliophilen
Bildungsbürgern zu tun sondern mit gefrusteten Proletariats- und
Präkariatskindern. Wobei dies auch ein all zu voreingenommenes
Urteil sein könnte, nichtsdestotrotz machen auch jene, welche
die gymnasiale Laufbahn durchgemacht, keinen besseren Eindruck auf
mich.
Es handelt sich um lesefaule,
eingelullte Mainstreammedienkonsumenten. Nun ist die IBD zwar nicht
unbedingt die Konservative Revolution, hat aber doch deutliche
Schnittstellen mit dieser und scheint mir momentan gleich ihrem
Erben. Was jener Masse an Identitären also fehlt, sind
Primärtexte. Menzel & Co. können noch so kluge
Essays schreiben, Der Funke immer wieder die Inkonsequenz des
nationalen Widerstand heraufbeschwören, was bringt es den
Jugendlichen, wenn sie sich nicht selbst mit der Gedankenwelt der
großen und wichtigen, mit Jünger (beiden Brüdern,
denn Friedrich Georgs Technikkritik sei jedem als Opposition ans Herz
gelegt, der Ernstens Arbeiter studiert), Hielscher, Spengler und
Hofmannsthal, um nur ein paar zu nennen, auseinandergesetzt? Da
skandiert ein in der Automobilmanufaktur arbeitender mit
Hauptschulabschluss, seine Mutter sei die Sprache und sein Vater das
Land ohne die Hofmannsthalsche Rede „Das Schrifttum als geistiger
Raum der Nation“ analysiert zu haben; und auch die Aktionen der
Identitären scheinen mir tief im globalisierten Pluralismus
verwurzelt. Ich bitte mit aller Deutlichkeit darum, mir zu erklären,
was daran identitär sein soll, mit Skimasken zu elektronischer
Musik in der Öffentlichkeit aufzutreten, Schilder schwingend,
auf denen „Multikulti wegtanzen“ geschrieben steht. Ich halte dem
entgegen eine wirklich identitäre Aktion: Die Jugend gehe in
ihrer Alltagsklamotte auf einen Platz mit vielen Menschen und
rezitiert chorisch bedeutende deutsche Sprachkultur. Oh, es würde
Eindruck schinden und sogar den mitte-links Feuilleton die IBD ernst
nehmen lassen, skandierten 15 oder 30 oder gar 50 Münder
gemeinsam die Aufklärungsdefinition Kants. So wird Jugend ernst
genommen, man erkennt ihr Anliegen, wenn es aus den vielen Mündern
wie aus einem schallt:
Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Und da man sich ja einig ist, dass die
zunehmende Islamisierung aufzuhalten sei, fahre man doch bitte die
großen Geschütze auf und proklamiere ein wenig Nietzsche.
Gott ist Tot und wir haben ihn getötet, nicht dadurch, dass wir
vom Glauben abgefallen sind, nein, wir töten Gott dadurch, dass
wir einen fremden Religions- und somit Kulturkreis unsere (mehr oder
minder) christliche Kultur vertreiben lassen. Im Anschluss folge noch
ein Auszug der Proklamationen des Ludwig Derleth:
Jesus Maria.Ich wachte und erschienen mir drei Zeichen: Der Blitz, der Adler und der Stern.Ich, Ludwig Derleth, bin allein und habe alle verbündet gegen mich und erkläre im Namen Jesus von Nazareth den Krieg.Ich vergehe vor dir, o Herr, und gebe mich ganz in deine Hand, welche das Schwert führt und die Gefallenen segnet.An alle Regimenter, Magazine und Werkstätten der Welt.Wir dezimieren.Wir rufen den Rest der tüchtigen Männer vor die Front und scheiden aus.Wir verlassen die Armee und gründen ein neues Reich.
Und wer es hart auf hart kommen lassen
will, würzt das ganze mit einer Prise Cornet.
Dies ist freilich die radikale
Variante, aber Radikalität, Krieg und Gewalt ist es, was jene
Jugendlichen fasziniert, so wie sie es aus dem Fernsehen und vom
Computer kennen. Lektüre ist nichts für die junge
Generation. Der Kampf als inneres Erlebnis beim lesen schwerer Stoffe
und großer Gedankenwelten überfordert den
Mausklickschützen. Der Wille zur Aktion ist da, nur ist man in
seiner eigenen Phantasie, im Begriffskosmos so beschränkt, dass
die intellektuelle und stilvolle Revolte keine Option zu sein
scheint. Selbstverständlich könnte auch Schillers
ästhetische Erziehung, der eine oder andere Klassiker der Lyrik
(Sarrazin beklagt das Aussterben von „Wanderers Nachtlied“ in
unseren Köpfen, da er gar nicht mehr auf die Idee kommt, jemand
könne den „Prometheus“ auswendig) oder Novalis rezitiert
werden. Worauf es ankommt, ist eine Rückkehr, eine Besinnung auf
die Literatur, eine Begeisterung, d.h. Belebung, all jener Gedanken,
die rechtes bzw. konservatives bzw. identitäres also im
Endeffekt deutsches Denken prägten.
Beklagen muss man diesen Rückstand
der modernen jungen Rechten – und hierbei muss ich noch einmal
anmerken, dass es auch die, wenn auch zahlenmäßig
unterlegene, andere, kluge und belesene Seite gibt, der meine
Hochachtung gilt – gegenüber der jungen Linken, die wesentlich
belesener ist, die ihre Meinung durchdrungen hat und argumentativ
stützen kann, die ihren Hegel, ihren Marx, Lenin und Adorno
gelesen und verstanden hat oder sich immerhin bemüht, dies zu
tun, die sich trifft in öffentlichen Diskussionsrunden und im
lockeren Umgang Klugheit auf dem Weg zu ihrer Revolution beweist.
Auf drängt sich hier die Frage,
wieso der Nationalismus heutzutage nun ein solcher Idiotenmagnet ist.
Sie zu beantworten vermag auch ich nicht, es scheint ein
Teufelskreis. Der eigene Nationalismus wird tautologisch begründet
woraus direkt resultiert, dass man gar nicht das Bedürfnis hat,
sich den intellektuellen Unterbau anzueignen, „Ich bin stolz denn
ich bin hier geboren“ scheint auszureichen, und da wo Sprache die
Mutter sein soll, haben wir es mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind
so unzulänglich gesäugt hat, dass es eine traumatische
Laktoseintoleranz entwickelte.
Das ist die betrübende Moderne, in
der Rilkes Worte nur noch ein Wunschtraum der musisch erzogenen sind:
Denn was der Eine erzhlt, das haben auch sie erfahren und gerade so. Als ob es nur eine Mutter gäbe...